Russland: Verfassungsreferendum am 1. Juli
Putin hat das ursprünglich für den 22. April geplante Verfassungsreferendum nun auf den 1. Juli gelegt. Die Abstimmung soll unter Berücksichtigung der Pandemie ablaufen: weitgehend unter freiem Himmel und mit der Möglichkeit, bis zu eine Woche vorher abzustimmen. Wurde auch Zeit, finden einige Kommentatoren. Andere wittern propagandistisches Kalkül.
Ein neuer Gesellschaftsvertrag zur rechten Zeit
Politologe Dmitri Orlow vertritt in der kremlnahen Iswestija die Meinung, dass es gerade wegen der Coronakrise höchste Zeit ist, die Verfassungsänderung abzuschließen:
„Soziale Spannungen können nicht nur während einer Ausnahmesituation wachsen, sondern auch in der Phase, in der man eigentlich schon aus der Krise herauskommt. Putin schlägt den Bürgern vor, Garantien für ihre sozialen Rechte in der Verfassung festzuschreiben. Das ist nicht das einzige, aber das wesentliche Element der Veränderungen. ... Putin tritt als Treiber einer neuen Politik zur Überwindung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie auf. Und er schlägt dem Land einen erneuerten Gesellschaftsvertag vor, der fußt auf sozialen Garantien, einer strengeren Kontrolle der Eliten und den Werten einer konservativen Entwicklung. Das ist Russlands New Deal angesichts neuer Herausforderungen.“
Auf der Patriotismuswelle zur Abstimmung
Der Kreml hat das neue Datum sorgfältig gewählt, meint der in Deutschland lebende russische Soziologe Igor Eidman auf Gordonua.com:
„Es ist eine für jeden einzelnen Tag geplante polittechnologische Operation. Da werden 'Großväter' wieder als Brennholz für das patriotische Lagerfeuer verwendet, auf dem ein propagandistisches Gebräu gekocht wird. Ende Juni erwartet uns der zehntägige Siegeswahn: am 22. gedenkt man des Kriegsbeginns, der dieses Mal offenbar besonders groß gefeiert wird, am 24. kommt dann die Parade. Mit all diesen großen patriotischen Events soll das Publikum auf das 'Referendum' am 1. Juli eingestimmt werden, um die Menschen dann in einem nicht mehr zurechnungsfähigen Zustand zu den Wahlurnen zu führen. Von überall werden wir hypnotische Mantras zu hören bekommen: Die Großväter haben gekämpft und auch jetzt sind alle gegen uns.“