Wofür steht Kamala Harris?
Ganz in Weiß gekleidet - der Farbe der Suffragetten - hat Kamala Harris am Samstagabend ihre Siegesrede gehalten. Darin gedachte sie der Frauen aller Hautfarben, die für Freiheit und Gleichberechtigung kämpften. Nicht alle Kommentatoren glauben, dass Harris die hohen Erwartungen als erste Frau und Schwarze im Vizepräsidentenamt erfüllen kann.
Weitwinkel fürs Familienfoto
Frischen Wind erhofft sich La Vanguardia von Harris:
„Die künftige Vizepräsidentin zeichnete das Bild einer offenen Familie, das nichts mit dem verstaubten und ausschließenden Modell zu tun hat, für das Trump im Wahlkampf warb. Eine Familie, in der sie nicht nur ihre nahen Verwandten einschloss, sondern auch die Frau, die für sie zur zweiten Mutter wurde, sowie ihre Freunde aus Studienzeiten. ... Eine Familie, in der es keinen Vater gab. … Diese Botschaft wird das Selbstbewusstsein so vieler Mädchen und junger Frauen stärken, die in prekären Umständen leben und die nicht auf das traditionelle Familienfoto passen.“
Ohne sie hätte er es nicht geschafft
Kamala Harris war für Biden eine unverzichtbare Hilfe und wird es bleiben, heißt es in Hospodářské noviny:
„Joe Biden und Kamala Harris werden im Januar die Regierung in den Vereinigten Staaten als nahezu gleichwertiges Tandem übernehmen. Biden wäre kein Staatsoberhaupt geworden, wenn er Harris nicht an seiner Seite gehabt hätte. ... Die 56-jährige Politikerin ist die erste Frau im Amt, die erste Afroamerikanerin und die erste Frau asiatischer Abstammung, die in der amerikanischen Verwaltung so weit hoch angekommen ist. ... Für Amerikaner - und insbesondere für diejenigen mit einer anderen Farbe als Weiß - ist dies ein Moment, der mit der Zeit vergleichbar ist, als Barack Obama vor zwölf Jahren ins Amt gewählt wurde.“
Kein Vorbild für Unterpriviligierte
Für die taz hat die Wahl von Kamala Harris auch einen Haken:
„[I]hr Einzug in das Weiße Haus allein wird das Leben einer alleinerziehenden schwarzen Mutter aus Minneapolis, die bei Wendy's arbeitet und noch einen zweiten Job hat, um über die Runden zu kommen, nicht verbessern. Im Gegenteil dürfte Kamala Harris mit ihrem auf Selbstoptimierung getrimmten Habitus und ihrer auf persönlichen Ehrgeiz fixierten Programmatik ... bei den Unterprivilegierten das Gefühl auslösen, dass der Wille zum Aufstieg sowieso zwecklos sei: weil sie nicht die nötige elaborierte Sprache sprechen, weil sie nicht in die 'richtige' Familie hineingeboren wurden (was bei Harris als Tochter eines Professors und einer Forscherin der Fall ist), weil ihnen die Ideologie des Leistungsdenkens und der ständigen Selbstoptimierung fremd ist, sie vielmehr unter Stress setzt.“
Auch weißen Männern einen Traum geben
Harris' Wahl und ihre Antrittsrede haben nicht zuletzt den Frauen Hoffnungen gemacht, glaubt Dagens Nyheter. Für den Erfolg des neuen Gespanns seien aber andere Wählergruppen entscheidend:
„Dieses Wochenende sagte die kommende US-Vizepräsidentin, Kamala Harris, dass 'alle kleinen Mädchen, die heute Abend zuschauen, sehen, dass dies das Land der Möglichkeiten ist'. Die Herausforderung besteht darin, weißen Männern mittleren Alters die gleiche Hoffnung zu geben. ... Die diesjährige Präsidentschaftswahl ist nicht nur ein Sieg für Demokratie und Klima, sondern auch für die Gleichstellung der Geschlechter. Trotzdem besteht die wichtigste innenpolitische Aufgabe von Harris und Joe Biden darin, dass mehr als die kleinen Mädchen zuversichtlich in die Zukunft blicken. “