Frankreich: Ist Kritik an Karikaturist Zensur?
In Frankreich hat Karikaturist Xavier Gorce seine Mitarbeit bei Le Monde aufgekündigt, nachdem sich die Zeitung für eine Zeichnung von ihm entschuldigt hatte. Die Karikatur zum Thema Inzest enthielt Anspielungen auf Regenbogen- und Patchwork-Familien. Gorce verteidigte sie als ironische Reaktion auf eine Äußerung von Philosoph Alain Finkelkraut. Insbesondere in Social Media wird nun der Vorwurf einer Cancel Culture erhoben.
Die Anmaßung verbitterter Gemüter
Es sieht nicht gut aus für die Ironie, klagt Le Point:
„Unsere Gesellschaft scheint immer stärker der Laune von Trauerklößen, Verbitterten, Dogmatikern, Kleinkarierten, Spielverderbern, üblen Kerlen, Störenfrieden und Quertreibern unterworfen zu sein … Bevor man den Mund aufmacht, in die Tasten haut oder zur Feder greift, muss man darauf achten, all diese Protestgemüter zu verschonen. … Ironie zu verwenden, bedeutet, zu riskieren, dass man verletzt. Ironie ist gleichbedeutend mit Mehrdeutigkeit. Indem man Falsches predigt, enthüllt man verborgene böse Gedanken. Die 'Mikro-Opfer' unserer Zeit wollen, dass ihre Neigung, schockiert zu sein, zum Maßstab wird für das, was man wie sagen darf. Sie wünschen sich eine binäre Welt, aufgeteilt in Beleidigte und Beleidiger.“
Empörten fehlt Sinn für Verantwortung
Der Vorwurf einer Cancel Culture stößt dem Politologen Jean-Yves Pranchère übel auf. Er schreibt in Libération:
„Wenn ein Zeichner kündigt, weil er es nicht erträgt, kritisiert zu werden, und wenn man ihn als Opfer von 'Zensur' darstellt, ist das keine Verteidigung der Meinungsfreiheit. Vielmehr wird hier das Recht in Anspruch genommen, sich zu beliebigen Zeiten und an beliebigen Orten frei zu äußern, ohne die fundamentale Tatsache zu akzeptieren, dass gewisse Positionen der Macht (beispielsweise die eines Zeichners von Le Monde) mit Verantwortlichkeiten einhergehen. Und dass die Möglichkeit, Fehler zu begehen, mit der Möglichkeit einher geht, sich zu entschuldigen. Der aktuelle 'Skandal' ist typisch für eine Kultur der Verantwortungslosigkeit. Keine Zeitung ist verpflichtet, sich dieser Kultur anzuschließen.“