Draghi vereidigt: Hoffnungen und erste Dämpfer
Ökonom und Ex-EZB-Chef Mario Draghi hat am Samstag nach Wochen der politischen Blockade und des Streits sein Amt als italienischer Premierminister angenommen. Staatspräsident Sergio Mattarella vereidigte erst den Regierungschef, dann folgten seine 23 Ministerinnen und Minister. Europas Presse erkennt auf Seiten Italiens und Draghis gleichermaßen hohe Erwartungen.
Achtung Fallhöhe
Die Erwartungen sind riesig, konstatiert Corriere del Ticino:
„Die Regierung von Mario Draghi ist, trotz der großen medialen Trompetenstöße, mehr auf Grund des internationalen Drucks denn auf Grund eines Konsenses der Parteien zustandegekommen. … Bedenkt man zudem, dass die Regierung voraussichtlich bestenfalls zwei Jahre dauern wird, wird sie kaum das tun können, was die Medien erwarten, nämlich alles. ... Der neue Premierminister, der viel politischer ist als er gerne vorgibt, hat mit seinem 'pro-europäischen, atlantischen und ökologischen' Programm die Erwartungen nicht gedämpft.“
Geldregen klug verteilen
Sobald die Kasse leer ist, könnte Draghi so sang- und klanglos aus dem Amt scheiden wie Conte, erklärt der Deutschlandfunk:
„Außer er schafft es, mit Klugheit und Fachwissen die jetzt bereitstehenden Finanzmittel so einzusetzen, dass sie wirklich dem ganzen Land nützen und nicht nur einzelnen Interessensgruppen, wie das leider schon oft der Fall war. Und wenn es ihm dadurch gelingt, den Bürgern Italiens wieder beizubringen, dass weder rechte Populisten, noch wenig erfahrene Protestler wie die Fünf-Sterne-Bewegung und auch nicht die zwar ehrbaren, aber altmodischen Sozialdemokraten einen vernünftigen Weg in die Zukunft Italiens finden, sondern nur eine moderne, clevere und europäische Vision der Staatsgeschäfte hilft, dann hat er die Vorschusslorbeeren verdient.“
Mario will keine Kindereien mehr sehen
Welche Erwartungen Draghi an sein Land hat, glaubt Janko Petrovec zu wissen, Italien-Korrespondent von RTV Slovenija:
„Draghi wird also damit beginnen, die Epidemie einzudämmen, die Impfkampagne zu beschleunigen, einen Plan für den Wiederaufbau zu erstellen und die zunehmende Armut bekämpfen. ... Seine Wortkargheit hat die Inhaltslosigkeit der PR-Strategien und Propaganda-Spins der vergangenen Jahre offenbart. Super Mario erwartet von Italien, dass es sich wie ein Erwachsener verhält, in die Hände spuckt und sich auf Opfer einstellt, dass das Land zur Vernunft kommt und nüchtern wird. Er dient als Vorbild in Sachen Lernfähigkeit, Tüchtigkeit und Schweigsamkeit. 'Whatever it takes.' So ist er eben.“
Rückständige Männer-Regierung
Dass nur acht von 23 Ministerposten an Frauen vergeben wurden, ist ein ernstes Problem, urteilt La Repubblica:
„Das ist ein Ausdruck der Rückständigkeit. … Wir haben niedrige Frauenerwerbsquoten von unter 50 Prozent, hohe Raten des Ausscheidens aus dem Arbeitsmarkt nach der Geburt von Kindern (jede fünfte Frau hört auf zu arbeiten) und Karrieren von Frauen werden blockiert. Eine Unzahl von Geschlechterstereotypen behindert die Entwicklung von weiblichen Ressourcen. … Ein Masterplan gegen Geschlechterstereotypen ist entscheidend für unser Land. Die Gleichstellung der Geschlechter muss ein strategisches Ziel sein, das alle Politikbereiche durchdringt. Die Wahl der Minister zeugt nicht davon.“