Amnesty International ändert Einschätzung zu Nawalny
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) wertet Putin-Gegner Nawalny nicht länger als 'gewaltlosen politischen Gefangenen'. Hintergrund sind Beschwerden über dessen frühere Reden. AI verwies auf über zehn Jahre zurückliegende diskriminierende Äußerungen Nawalnys gegen Migranten und gewisse Regionen und Länder, von denen er sich nie distanziert habe. Wem schadet Amnestys Einschätzung?
Lobenswerte Einsicht in Komplexität der Welt
Michail Gurewitsch von Radio Kommersant FM findet es prinzipiell positiv, dass Amnesty International zu seinen Prinzipien steht:
„Leider hat der jahrelange Hybridcharakter unserer Innen- und Außenpolitik dazu geführt, dass in Russland schon niemand mehr an unveränderliche Werte glaubt. Die Geschichte mit AI ist dafür der beste Beweis. Mir gefällt die Aberkennung auch nicht, aber wenn man seinen Prinzipien und Prozeduren treu bleibt und bereit ist, Fehler einzugestehen, dann verdient das umgekehrt Hochachtung. Das ist gerade jene weltläufige Reife, die wir so dringend bräuchten. Sie würde uns zu verstehen erlauben, dass jenseits unserer Grenzen die Welt weitaus komplexer ist und sich nicht in verständnisvolle Freunde und Erzfeinde unterteilt.“
Menschenrechte zu diskreditieren ist gefährlich
Russlands Informationsoperation ist gelungen, kommentiert Postimees die Statusänderung:
„Das Durcheinander ist groß, und genau das will Russland - Spaltung und Zweifel des Westens demonstrieren, um zu zeigen, dass das ganze Gerede um Menschenrechte und Werte nur Schaum ist. Das alles mag als eine theoretische Gedankenübung erscheinen, aber dadurch, dass das Thema Menschenrechte absichtlich vernebelt wird, leiden viele Menschen. ... Wenn das Wort von Amnesty nichts mehr wiegt, wessen dann? Gerade, dass die Organisation mit keinem Staat verbunden ist, hat ihr Vertrauenswürdigkeit verliehen. Wenn die USA jemanden des Bruchs der Menschenrechte beschuldigen, kann er es immer mit dem Hinweis auf die USA selbst parieren oder die Behauptung als politisch motiviert abtun. Auf jeden Fall muss man Moskau wieder für eine erfolgreiche Beeinflussungsoperation gratulieren.“
Rassist im Demokratenpelz
Die linke Birgün begrüßt die Änderung und ärgert sich über die westlichen Staaten:
„Nawalny ist jemand, der die Menschen aus dem Kaukasus und Zentralasien als 'Ungeziefer' bezeichnet und dafür einsteht, dass diese unter Einsatz von Gewalt ausgerottet werden. Während er im Westen zum Star gemacht wurde, hat er persönlich erklärt, dass sich seine Ansichten nicht geändert haben. Auf tragikomische Weise nimmt sich der Westen dieser in Russland entstandenen Anormalität an, also dieses fremdenfeindlichen und rassistischen Oppositionellen, mittels des im Westen bereits oft dagewesenen Themas eines 'Menschen, der die Korruption aufdeckte'. Sie wollen ihn der Welt im Paket der 'Demokratie und Menschenrechte' unterjubeln. “
AI hat sich in Russland diskreditiert
Für den Kulturjournalist Artemi Troizki hat sich Amnesty International zum nützlichen Idioten des Kremls machen lassen, wie er in Echo Moskwy schreibt:
„Die Anstifter des Kremls haben mit dem Rausschicken der Beschwerden über den 'Rassisten und Nationalisten' Nawalny die renommierte Menschenrechtsorganisation hinters Licht geführt wie einen naiven Dummkopf. ... In der Nawalny-Sache bringt ihnen diese Hetzintrige zwar kaum etwas. ... Aber den kleineren der beiden Hasen haben sie damit erledigt. Ich meine AI selbst und dessen Ruf in Russland. Die Menschenrechtsorganisation ist dem Kreml lästig. Wenn man ihre Autorität untergräbt und zugleich unter Aktivisten Zweifel an derartigen Institutionen säht, ist das kein schlechter Erfolg.“
Nun wird die Unterstützung noch stärker bröckeln
Nawalny wurde mit einem Schlag um viel Solidarität gebracht, bedauert Snob:
„AI ist zwar weiter der Meinung, dass Nawalny zu Unrecht einsitzt und fordert seine Freilassung. Aber der Verlust des Status eines 'Gefangenen aus Gewissensgründen' verschafft ihm eine diffuse Reputation, die viele im Westen veranlassen wird, zweimal nachzudenken, bevor sie den Chef der Stiftung zur Korruptionsbekämpfung unterstützen. Das war das Ziel der Denunzianten. Ganz egal, ob sie tatsächlich Verbindungen zur Staatsmacht haben oder nicht, die Sache hilft praktisch dem Kreml. Dieser Schaden ist wohl leider nicht mehr gut zu machen.“