Was kann die Sportwelt von Naomi Osaka lernen?
Die Weltranglistenzweite im Tennis, Naomi Osaka, hat ihre Teilnahme an den French Open abgebrochen. Osaka hatte zunächst nur alle verpflichtenden Pressetermine boykottiert, weil die mentale Verfassung der Spieler zu wenig beachtet werde. Nach anhaltender Kritik und einer Geldstrafe durch den französischen Tennisverband sagte sie ab und offenbarte, an Depressionen und Angstzuständen zu leiden. Für Europas Presse ein wichtiges Signal.
Reden wäre Gold gewesen
Der Tennisstar hätte einen Großteil des Aufruhrs mit besserer Kommunikation verhindern können, meint Der Standard:
„Aus dieser Geschichte sind nicht wenige Lehren zu ziehen. Dass auch Superstars an Depressionen leiden können, ist nur eine davon. Darüber hinaus hat Osaka sicherlich nicht perfekt kommuniziert. ... So fühlten sich die Pariser brüskiert und reagierten ihrerseits harsch. Die Medien befragten andere Tennisstars zur Causa, etliche ließen durchklingen, die viermalige Grand-Slam-Turniersiegerin solle sich nicht so anstellen, Pressearbeit gehöre halt dazu. Kaum jemand hat nachgedacht oder gar nachgefragt, was Osaka zu ihrem Schritt bewegt haben könnte. … Reden wäre in diesem Fall Gold gewesen, Posten und Urteilen aus der Ferne war maximal Blech.“
Medien können sich anpassen
Sportjournalist Slavko Jerič zeigt in seiner Kolumne für RTV Slovenija Verständnis für Osakas Entscheidung:
„Die besten Sportler sind im Vergleich zu den meisten anderen viel exponierter und haben viel mehr Verpflichtungen (nicht nur gegenüber den Medien, sondern auch gegenüber den Sponsoren). Es ist heuchlerisch, dass sie einerseits bewundert und verehrt werden und andererseits bei Problemen wie nutzloser Müll entsorgt werden. Allzu oft ist uns nicht bewusst, dass psychische Gesundheit extrem wichtig ist. Wenn sich die Gesellschaft oder die Gemeinschaft an Ausnahmen (besondere Bedürfnisse; Kranke ...) anpassen kann, verstehe ich nicht, warum wir uns nicht an Menschen anpassen sollten, die extremen Stress, Angstzustände und Unbehagen verspüren, wenn sie zu uns in den Presseraum kommen. “
Überflüssige Konferenzen
Pressekonferenzen im Sport sind ohnehin obsolet geworden, findet hingegen der Sportjournalist Jonathan Liew in The Guardian:
„Der große Trugschluss ist, dass eine Pressekonferenz eine direkte Verbindung vom Sportler zur Öffentlichkeit aufbauen könne, bei der wir demütigen Schreiber die treuen Augen und Ohren des Volkes im Olymp der Götter seien. Falls Sie es noch nicht bemerkt haben: Das gilt schon lange nicht mehr. Sportler haben ihren eigenen, direkten Draht zur Öffentlichkeit, und Achtung Spoiler: Wir sind das nicht. So schwer es ist, das zu verstehen, aber Osakas Rolle als Entertainerin und Werbetafel hängt davon ab, dass sie zu einer festgelegten Zeit Tennis spielt und nicht davon, dass sie gezwungen wird, sich in einem fensterlosen Raum voller Männer mittleren Alters erklären zu müssen.“
Schlaglicht auf größeres Problem
Für die Süddeutsche Zeitung zeigt der Fall, wie schwer Athleten es bei diesem Thema im System Spitzensport - trotz mancher Fortschritte - noch immer haben:
„In vielen Bereichen gibt es psychologische Anlaufstellen. Aber generell haben mentale Aspekte nicht die Bedeutung, die sie verdienen. Dabei ist der Bedarf immens. Bei einer anonymen Studie der deutschen Sporthilfe-Stiftung gaben vor einigen Jahren jeweils zehn Prozent der deutschen Kader-Athleten an, an Depressionen, Essstörungen oder Burn-out-Syndromen zu leiden. Die tatsächliche Zahl liegt wohl noch höher, weil 40 Prozent der Teilnehmer diese Frage gar nicht beantworteten. Osakas Beispiel sollte nun dringend dafür genutzt werden, sich viel genauer um diese vielen Fälle zu kümmern.“