Türkei: Haftstrafe für Politikerin Kaftancıoğlu
Ein türkisches Berufungsgericht hat eine Haftstrafe von fast fünf Jahren und faktisch ein politisches Betätigungsverbot gegen die Oppositionspolitikerin Canan Kaftancıoğlu bestätigt. Der Istanbuler Regionalvorsitzenden der CHP wurde wegen einiger Tweets aus den Jahren 2012 bis 2017 unter anderem Präsidentenbeleidigung vorgeworfen. Welches Kalkül steckt hinter der Verurteilung?
Ankara will Spannungen im Land anheizen
Auch dieses Urteil wurde von der Erdoğan-Regierung angeordnet, ist sich Cumhuriyet sicher:
„Der Kessel ist kochend heiß. Während wir über Demonstrationsverbote und die Strafen im Gezi-Prozess sprechen, wurde die Haftstrafe von vier Jahren und elf Monaten für Kaftancıoğlu bestätigt und ihr zudem ein Politikverbot auferlegt. Offensichtlich wird noch mehr folgen. Die Entscheidung, die Provinz-Vorsitzende der größten Oppositionspartei für einen vor Jahren geposteten Social-Media-Beitrag mit Gefängnis zu bestrafen, dient schlichtweg dazu, die Spannungen bewusst zu erhöhen. Die Regierung bereitet sich darauf vor, das Land de facto im Ausnahmezustand in die Wahlen 2023 zu führen. Dabei versäumt sie nicht, es wirtschaftlich zu ruinieren.“
Politikverbote können das Gegenteil bewirken
Es ist kein Zufall, dass es gerade sie trifft, urteilt T24:
„Kaftancıoğlu gilt als eine der Architektinnen des Wahlsiegs [der Opposition bei der Kommunalwahl 2019] in Istanbul. Das versuchte man nun 'zu bestrafen'. Aber über den Wahlsieg hinaus hat sie noch andere Bedeutung: Sie setzt sich nicht nur mit Worten, sondern auch vor Ort für alle Ausgegrenzten ein. Und deswegen wurde sie zur Zielscheibe. ... Erdoğan sagt von sich selbst, er sei gegen die Schlagzeilen ankämpfend an die Macht gekommen, nachdem er [1999] wegen eines von ihm gelesenen Gedichts ins Gefängnis kam und man ihm nachsagte, er könne nicht mal mehr Dorfvorsteher werden. Glaubt er tatsächlich, dass Kaftancıoğlu nun wegen ihrer Tweets nicht mehr in der Lage sein wird, Politik zu machen?“