Nordirland-Streit: EU will Verfahren gegen London
Brüssel will gegen das Gesetzesvorhaben vorgehen, mit dem die britische Regierung das Nordirland-Protokoll umgehen will. EU-Kommissionsvize Maroš Šefčovič nannte die Pläne illegal und kündigte zwei neue Vertragsverletzungsverfahren an. Außerdem soll ein altes wiederaufgenommen werden. Für London könnte das vor dem Europäischen Gerichtshof und mit einer Geldstrafe enden.
Johnson driftet in die Unberechenbarkeit
Dieser britischen Regierung ist nur mit Härte beizukommen, glaubt die Kleine Zeitung:
„Die Kommission antwortet mit Zuckerbrot und Peitsche. Einerseits wird das laufende, aber stillgelegte Vertragsverletzungsverfahren wieder aktiviert, es kommen aber gleich noch zwei weitere dazu. Gleichzeitig legt die EU ein Paket auf den Tisch, das weitere Vereinfachungen in der Abwicklung des Protokolls bringen kann. Demonstrativ wachelte [winkte] Šefčovič mit ein paar Zetteln: Die britische Erzählung, dass ein einziger Lkw riesigen Bürokratismus auslöse, stimme einfach nicht - drei Blatt Papier würden ausreichen. ... Unfassbar erscheint dabei, mit welcher Leichtfertigkeit Boris Johnson und seine Entourage ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen.“
Brexit-Desaster immer augenscheinlicher
Londons Manöver dient nur der Ablenkung, so Dnevnik:
„Tatsächlich macht Boris Johnson den Wirbel um das Nordirland-Protokoll nicht wegen des Protokolls selbst oder wegen Nordirland, sondern aus Selbstschutz – weil die Folgen des Brexit-Wahnsinns immer deutlicher werden. Johnson und die konservative Regierung haben diese bisher relativ erfolgreich Corona und dem Krieg in der Ukraine zugeschoben, doch in den letzten Wochen wurde immer klarer, dass die britischen Wirtschaftsprobleme zu einem großen Teil auf den Brexit zurückzuführen sind. ... Es gibt keine bessere und explosivere Ablenkung als das politisch instabile Nordirland, wo Anarchie und Johnsons chaotische Führung Unruhe schüren.“
Ein aufgeblasener Konflikt
Die Neue Zürcher Zeitung empfiehlt mehr Sachlichkeit:
„Das Protokoll ist ein höchst widersprüchliches Abkommen, das Nordirland faktisch weiterhin im EU-Binnenmarkt und gleichzeitig als Teil des daraus ausgetretenen Königreichs anerkennt. ... Mit gutem Willen auf beiden Seiten könnte diese Absurdität funktionieren. Die geringe wirtschaftliche Bedeutung Nordirlands müsste die im Protokoll vorgesehene Zwitterstellung als Teil des EU-Binnenmarkts und des Vereinigten Königreichs für beide Seiten erträglich machen. Nordirland wäre zwar ein mögliches Schlupfloch im Binnenmarkt, doch mit vernünftigen Kontrollen liessen sich Missbräuche im Rahmen halten.“