Scholz' "Doppelwumms": Aus Europa hagelt es Kritik
Vergangene Woche hatte sich die deutsche Regierung auf einen 200 Milliarden schweren Gaspreisdeckel geeinigt, um die in die Höhe schießenden Energiekosten für Verbraucher und Unternehmen abzufedern. Bei anderen EU-Ländern und auch aus der EU-Kommission erntete Berlin dafür heftige Kritik. Verschafft sich Deutschland durch das Entlastungspaket einen unsolidarischen Vorteil gegenüber anderen Staaten?
Kanzler versteht seinen europäischen Nebenjob nicht
Naftemporiki verlangt vom Bundeskanzler mehr Bewusstsein für seine internationale Verantwortung:
„Die Aufgabe des Bundeskanzlers ist es, die Interessen der Deutschen zu verteidigen - aber ohne die Interessen aller anderen zu untergraben. Ein Ja zu einer europaweiten Obergrenze für die Gaspreise würde seinem 'Job' nicht im Wege stehen. Aber um das zu sagen, müsste er noch etwas anderes verstehen (was Merkel - so sehr sie derzeit für die Energieabhängigkeit von Russland verantwortlich gemacht wird - anscheinend besser verstanden hat): was es bedeutet, an der Spitze der größten Volkswirtschaft der EU zu stehen. Dies ist ein weiterer 'Nebenjob', von dem abzuwarten bleibt, ob er ihn übernehmen will oder kann.“
Unsolidarisches Verhalten hat Tradition
Berlins Alleingänge in Sachen Energiepolitik reichen Jahrzehnte zurück, kritisiert Außenpolitikexperte Botond Feledy in Új Szó:
„Hätte Deutschland es zugelassen, hätte es vielleicht eine gemeinsame Energiebeschaffung geben können und mehrere so genannte Interkonnektoren, die die nationalen Netze miteinander verbinden, sowie einen besseren Mechanismus für die EU-weite solidarische Nutzung der nationalen Speicher. Nun sehen wir das Unwetter aufziehen und stellen fest, dass wir nackt dastehen. Die deutschen Regierungen, unabhängig von ihrer ideologischen Ausrichtung, haben immer Nord Stream unterstützt.“
EU-Staaten schauen zuerst wieder alle für sich
Dass sich ausgerechnet Giorgia Meloni über Deutschland beschwert, die selbst auf nationale Interessen pocht, hält La Repubblica für scheinheilig:
„Ein Europa 'à la Meloni' gefällt nun Giorgia Meloni nicht. Wie immer zeigt sich Europa in den turbulenten Wochen, die auf eine Krise folgen und schwierigen Entscheidungen vorausgehen, von der schlechtesten Seite. Dies geschah bei der Finanzkrise von 2012, nach dem Ausbruch der Covid-Epidemie und in der dadurch ausgelösten Rezession. Jedes Mal gelang es der EU schließlich, angemessene Antworten zu finden. Doch vorher wurden wir regelmäßig Zeugen eines unrühmlichen 'Rette sich, wer kann', bei dem die Logik der nationalen Interessen triumphierte, die der souveränistischen Chefin von Fratelli d'Italia so wichtig sind.“
Milliardenpaket für den sozialen Frieden
Für die Frankfurter Rundschau kommt die Rettungsaktion keine Sekunde zu früh:
„Die im Detail noch nicht ausbuchstabierte Gaspreisbremse trifft auf eine Bevölkerung, in der zum Teil die Nerven blankliegen. Der Wohlstandsverlust für die Bürgerinnen und Bürger ist längst im Gang. Eine wachsende Zahl an Menschen zweifelt inzwischen an oder opponiert gegen die Regierungspolitik. Die wiederum bleibt zu Recht auf der Linie, die Ukraine zu unterstützen sowie Kriegsflüchtlinge und Deserteure aufzunehmen. Die Entwicklung ist gefährlich, denn die Zweifelnden und die Verzweifelten können von jenen eingesammelt werden, die jede Krise nutzen, um den Staat zu delegitimieren. Und eben daraus kann die nächste Krise erwachsen, die – wie von Putin beabsichtigt – antidemokratischen Kräften Wasser auf die Mühlen treibt.“
Markt wird künstlich aufgebläht
Der deutsche Alleingang schadet der Union, kritisiert Corriere della Sera:
„Die von der Berliner Regierung beabsichtigte harte Antwort auf Putin birgt die Gefahr, die europäische Front zu schwächen. ... Die von Berlin bereitgestellten 200 Milliarden werden weiterhin einen künstlichen Markt aufblähen, der nicht auf der tatsächlichen Verfügbarkeit von Gas beruht, sondern auf den finanziellen Erwartungen einiger skrupelloser Akteure. Die bedauerliche Langsamkeit Europas bei der Verabschiedung einer gemeinsamen Obergrenze für Erdgas wird heute zu einem schweren Rückschlag für den EU-Integrationsprozess. Langfristig schadet dies den einzelnen Mitgliedsstaaten.“
Möglichkeiten des Staates sind begrenzt
Kurz vor den Parlamentswahlen hat die lettische Regierung beschlossen, Stromnutzern ab 160 Euro pro Megawattstunde die Kosten zur Hälfte zu erstatten. Diena kommentiert:
„Nach wie vor ist die Frage aktuell, ob diese Unterstützung ausreicht, damit die Unternehmen nicht nacheinander aufhören zu arbeiten. Dabei ist natürlich zu berücksichtigen, dass bei solch instabilen epidemiologischen, geopolitischen und wirtschaftlichen Verhältnissen, wie sie seit dem Frühjahr 2020 herrschen, jedes Unternehmen in Schwierigkeiten geraten kann und unter Umständen staatliche Hilfe benötigt. Die staatliche Förderung kann auf Dauer nicht die einzige Finanzierungsquelle sein, die ein Unternehmen am Leben erhält. ... Die Möglichkeiten des Staates, Geld in die Rettung von Unternehmen zu investieren, sind nicht unbegrenzt.“