Serbien und Kosovo: Ist der Durchbruch gelungen?
Serbiens Präsident Aleksandar Vučić und Kosovos Premier Albin Kurti haben am Montag in Brüssel den EU-Außenbeauftragten Josep Borrell getroffen, um den deutsch-französischen Plan zur Normalisierung der Situation im Kosovo zu besprechen. Noch ist nichts unterschrieben, doch laut Borrell kann der Vorschlag als angenommen gelten: Es gehe nur noch um die konkrete Umsetzung. Kommentatoren sind da skeptischer.
Keinen Platz für Missverständnisse lassen
Das Abkommen muss klar definiert und überwacht werden, mahnt Jutarnji list:
„Die Erfahrung der Vergangenheit lehrt uns, dass eine stete Wachsamkeit der EU und USA notwendig sind, und zwar auf höchster Ebene. Es reicht nur ein bisschen Entspannung von Seiten der EU, und Serbien und Kosovo werden Gründe zur Verzögerung der Implementierung ihrer Pflichten suchen, unterschiedliche Interpretationen und Schuldzuweisungen werden folgen. Heute noch gibt es unterschiedliche Interpretationen des Daytoner Abkommen, obwohl schon vor 30 Jahren unterzeichnet. Auch die UN-Resolution 1244 zum Kosovo und das Urteil des Internationalen Gerichtshofes, dass die Verkündung der Unabhängigkeit des Kosovo nicht gegen internationales Recht verstößt, werden unterschiedlich ausgelegt.“
Leider kommt der Plan von außen
Die Neue Zürcher Zeitung reagiert zurückhaltend:
„Der Weg zu dem Abkommen ist in nur vier Monaten zurückgelegt worden. Das ist atemberaubend schnell, wenn man es mit dem Tempo der bisherigen Verhandlungen vergleicht. … Der Plan an sich ist nicht schlecht, er gleicht zumindest einem Kompromiss. Sein grösster Mangel ist, dass er nicht von den Streitparteien ausgehandelt wurde, sondern vollständig von aussen kommt. Aufgezwungene Lösungen haben sich auf dem Balkan selten bewährt. Hier wäre Serbien in der Pflicht gestanden. Aber es sagte nie, wie eine Lösung aussehen sollte, bloss, wie nicht. Jetzt haben andere gehandelt. Lange genug hat die EU in dieser Region nur Zeit verloren.“
Verrat an Demokratie und Menschenrechten
Der Balkan-Korrespondent der taz, Erich Rathfelder, bezeichnet das Abkommen als Farce:
„[D]as Europa der EU tritt nun offen für die Politik der ethnischen Trennungen ein, sie will den Verbund serbischer Gemeinden mit all ihren symbolisch negativen Konsequenzen für das Zusammenleben der Menschen im gesamten Westbalkan durchsetzen. ... Es geht der EU und den USA auf dem Balkan nicht mehr um die Durchsetzung demokratischer und menschenrechtlicher Werte, sondern um einen Kompromiss mit dem autokratisch regierenden Serbenführer Aleksandar Vučić, den man so aus der Umklammerung Putins holen will. Glaubt etwa der US-Botschafter in Serbien, Christopher Hill, wirklich, dass man Vučić umpolen und gegen Putin aufstellen könne, wenn man Demokratie und Menschenrechte verrät?“
Belgrad spielt ein doppeltes Spiel
Serbiens Verhalten deutet nicht gerade auf ein ernsthaftes Interesse an Stabilität hin, beobachtet Der Standard:
„Vučić weigerte sich am Montag – anders als Kurti, der dazu bereit war –, seine Unterschrift unter den Vertrag zu setzen. Er will offenbar Zeit gewinnen und zunächst einen zu schaffenden serbischen Gemeindeverband im Kosovo mit möglichst vielen Einflussinstrumenten ausstatten. … Nachhaltige und langfristige Sicherheit für den Kosovo und die gesamte Region wird es erst dann geben, wenn Serbien sich der Politik der EU gegenüber Russland anschließt, die Sanktionen endlich umsetzt, wozu es als EU-Kandidat verpflichtet ist, und sich ernsthaft aus der Kreml-Obhut verabschiedet. Das ist allerdings nicht abzusehen. So sitzt Serbien weiterhin nicht zwischen, sondern auf zwei Stühlen.“
Vučić wird wohl kaum am eigenen Ast sägen
Balkan-Experte Milan Lasowitsch glaubt in Iswestija nicht an einen Erfolg dieses Projekts:
„Auf eine rasche Umsetzung der Vereinbarungen und eine signifikante Wende in der Kosovo-Frage ist kaum zu hoffen. Zumindest sind die Bedingungen dafür auch angesichts des Ukraine-Konflikts noch nicht reif. Obwohl Serbien in der Kosovo-Frage zu gewissen Zugeständnissen gezwungen ist, hat sich seine Strategie global gesehen nicht geändert. Das liegt am Vorhandensein bestimmter 'roter Linien' - die Unmöglichkeit, das Kosovo offiziell anzuerkennen. Wenn er das täte, kann Vučić seine Präsidentschaft und seine politische Karriere im Allgemeinen vergessen, denn sie wäre damit beendet.“