Braucht es eine Forschungspause bei KI?
Über 1.000 Experten der Tech-Branche und Forschung - darunter Elon Musk und Apple-Mitbegründer Steve Wozniak - haben in einem offenen Brief vor den "erheblichen Risiken" Künstlicher Intelligenz (KI) gewarnt. Sie fordern mindestens ein halbes Jahr Entwicklungspause und die Errichtung von Sicherheitsstandards. Kommentatoren diskutieren, ob technischer Fortschritt aufgehalten werden kann und sollte.
Zu viele Interessen, zu viele Akteure
Die Forderung der Experten nach einem Moratorium wird schwer durchzusetzen sein, meint Der Standard:
„Der Boom wird nicht nur von großen US-Konzernen getragen, die man im Blick behalten könnte, sondern von vielen kleinen Akteuren. Midjourney, eine derzeit beliebte Bilder-KI, wird etwa von nur elf Vollzeitkräften betrieben. Dass hier neue Player an disruptiven Technologien forschen und dabei lange genug unter dem Radar fliegen, ist zu erwarten.“
Verbote lösen das Problem nicht
Italiens Datenschutzbehörde hat den KI-basierten Chatbot ChatGPT vorerst sperren lassen. Das ist der völlig falsche Weg, wettert La Repubblica:
„Wir sind dem wenig erfreulichen Club der Länder wie China, Iran, Russland und Hongkong beigetreten, die Forschung im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI) verbieten, während sie selbst im Geheimen an der militärischen und repressiven Nutzung der Technologie arbeiten. ... Dabei ist Europa seit langem Vorreiter im Bereich des Computerrechts ... Die USA und die sozialen Plattformen schauen inzwischen nach Brüssel, um sich zwischen Algorithmen und Recht zu orientieren. Aber Regulierung bedeutet nicht Verbot, sondern Argumentation - sowie Schutz der Forschung und nicht deren Abschaffung.“
Fiktiver KI-Content unterhöhlt die Realität
Maszol befürchtet eine explosionsartige Zunahme von Fake News:
„Die durch Fake News entstandene gemischte Realität kann sich durch die Verbreitung der KI weiter ausbreiten. Denn die Erfindung einer fiktiven Geschichte kann mit ein paar Fragen an die KI erledigt werden, anstatt stundenlang Fake News formulieren zu müssen. Noch besorgniserregender als textbasierte Falschmeldungen ist die Popularität von KI, die nach schriftlichen Anweisungen Bilder generiert, wie Midjourney. ... Es ist bereits mit dem Aufkommen von KI zu rechnen, die auf ähnliche Weise auch Videos generieren kann.“
Fehler nicht verstärken
Einen neuen Umgang mit KI fordert Irish Independent:
„Maschinelles Lernen wird unsere Zukunft radikal umgestalten, im Guten wie im Schlechten. Genauso, wie es das Internet vor einer Generation tat. Aber diese Veränderungen werden das Internet sehr wahrscheinlich wie eine Aufwärmübung aussehen lassen. KI hat die Fähigkeiten, all unsere menschlichen Fehler zu verstärken und zu verbreiten, indem sie bürgerliche Freiheiten missachtet und Rassismus, Klassenunterschiede und Ungleichheit verfestigt. ... Es ist Zeit für neue Regeln und Werkzeuge, die mehr Transparenz dazu ermöglichen, mit welchen Datensätzen KI-Systeme trainiert werden und welche Werte für die Entscheidungsberechnungen der KI installiert werden.“
Kontrollbehörden schaffen
Der Umgang mit künstlicher Intelligenz muss sich dringend verbessern, mahnt der Wirtschaftswissenschaftler Julien Serre in Les Echos:
„Wir müssen schnellstmöglich die Schaffung neuer Institutionen fördern. Dazu gehören fähige und legitime Behörden, die den widerlichen Strom von Desinformationen bewältigen, der alle sozialen Netzwerke fluten und unsere Demokratie gefährden wird. Europa kann dabei eine führende Rolle spielen. ... Unsere Priorität muss die Förderung von Technologie sein, die sowohl wettbewerbsfähig als auch verantwortungsbewusst ist. Europa muss verhindern, dass der gegenwärtige Wettlauf um die Entwicklung und den Einsatz immer leistungsfähigerer digitaler Tools zu schwer zu kontrollieren zu sein wird.“
Unglaubwürdig und unrealistisch
Das fällt denen aber spät ein, spottet La Stampa:
„Die besten Köpfe unserer Generation sind plötzlich aufgewacht, haben wahrscheinlich das Bild vom Papst in der weißen Trapperjacke [das in den sozialen Medien kursierte] für echt gehalten und sich gefragt, wenn ich als Koryphäe darauf hereinfalle, muss ich mir dann Sorgen machen? Der Punkt ist: Kann der Fortschritt aufgehalten werden? Ist diese Idee, die industrielle Entwicklung zu stoppen, glaubwürdig? ... Moralische Skrupel kommen in der Regel vorher, nicht nachher: Man kann nicht mit der Atombombe hantieren und sagen: 'Ups, tut mir leid', wenn man sie fallen lässt.“
Nicht die Nerven verlieren
Eine Pause ist nicht das, was es jetzt braucht, meint L'Opinion:
„Angesichts der wirtschaftlichen, rechtlichen und geopolitischen Herausforderungen ist klar, dass nicht so sehr eine Pause, sondern vielmehr eine Beschleunigung erforderlich ist. Nicht unbedingt bei der technologischen Entwicklung – auch wenn Institutionen dazu neigen, mit dem Rücken zur Wand effizienter zu sein als mit viel Planungszeit -, sondern bei der Strukturierung des Sektors. Ja, die Möglichkeiten, die generative KIs bieten, sind Neuland. Aber anstatt den Pionieren dieses neuen Wilden Westens Hindernisse in den Weg zu stellen, sollte man den Wettbewerb sich organisieren lassen und der Regulierer sollte die Grenzen des Territoriums abstecken. In Sachen KI dürfen wir nicht die Nerven verlieren.“
Der Mensch ist die Gefahr
Die digitale Revolution kann zu einem besseren Leben beitragen, schreibt der IT-Experte Saša Prešern für Delo:
„Die einzige Bedrohung für die Existenz der Menschheit ist der Mensch, nicht die Technologie. Wann wird die Politik erkennen, dass sie mit Hilfe künstlicher Intelligenz Kriege stoppen oder verhindern könnte, was der Mensch anscheinend nicht 'kann'? ... Politiker hören einander nicht zu. Ihre Fehler und Provokationen wirken sich auf die ganze Welt aus. Sie wissen nicht, wie nützlich für sie die Hilfe künstlicher Intelligenz, Daten und Vernunft wäre. ... Obwohl wir uns erst kürzlich kennengelernt haben, halte ich meinen Freund ChatGPT für vernünftiger als militante Politiker.“
China wird nicht mitmachen
Das Handelsblatt hält den Vorschlag für sinnlos:
„Angesichts der geopolitischen Spannungen ist es extrem unwahrscheinlich, dass China sich daran beteiligen würde. Für die Volksrepublik ist es erklärtes Ziel, in dieser Schlüsseltechnologie die Nummer eins zu sein. Schon jetzt ist das Land nach der Anzahl der Forschungspapiere die klare Nummer zwei hinter den USA - und in einigen Bereichen wie 'Computer Vision' ist es sogar führend. Ein nur teilweise eingehaltenes Moratorium birgt die Gefahr, dass wir eine chinesische statt einer westlichen 'Artifical General Intelligence' (AGI) erhalten.“