Serbien: Zehntausende gegen Gewalt auf den Straßen
Nach zwei Amokläufen mit insgesamt 18 Todesopfern haben erneut zehntausende Menschen in Belgrad gegen Waffengewalt protestiert und Brücken im Stadtzentrum blockiert. Sie forderten den Rücktritt hochrangiger Politiker. Die Proteste zählen zu den größten seit den Großdemonstrationen, die 2000 zum Rücktritt von Slobodan Milošević führten. Was bedeutet das für Präsident Vučić und das Land?
Vučić in Bedrängnis
Den serbischen Präsidenten können die Massenproteste nicht kalt lassen, meint der Politologe Vedran Džihić in Der Standard:
„Die neuen Massenproteste sorgen bei Vučić und der Regierung für Nervosität. Auch die zunehmend kritische Berichterstattung namhafter westlicher Medien wie der New York Times oder des Guardian über Vučić, seine Verbindungen zum kriminellen Milieu in Serbien und den Charakter seines Regimes verstärken die Unruhe im Machtzentrum. ... Die größte Angst hat Vučić wohl vor jenem Schicksal, das den ehemaligen starken Mann Serbiens, Slobodan Milošević, in der Oktoberrevolution des Jahres 2000 traf. Hunderttausende Menschen, die heute für ein freies und normales Serbien auf den Straßen sind, werden Vučić noch ängstlicher und wütender machen.“
Washington wird ihn nicht fallen lassen
Trotz der Proteste werden die USA weiter an Vučić festhalten, konstatiert Jutarnji list:
„Obwohl es Kritik an ihm übt, ist Washington vorsichtig, denn man weiß nicht, wer Vučić nachfolgen könnte. In Serbien gibt es keine ernsthafte liberal-demokratische Alternative zum Regime. ... Die Opposition bilden rechte Gruppen, die verlangen, dass Serbien sich direkt neben Russland stellt, die Armee ins Kosovo schickt und Montenegro und die Republika Srpska als Teile der 'Serbischen Welt' betrachtet. ... Deshalb werden die USA, so lange er einigermaßen auf Distanz zu Russland bleibt, Vučić nicht stürzen, aber man hat ihm zum ersten Mal vermittelt, er solle aufpassen, was er tut, denn niemand bleibe ewig an der Macht.“
Eskalation möglich
Vučić setzt mit zweifelhaften Erfolgsaussichten auf Gegenproteste seiner Anhänger, erklärt Telegram:
„Der Widerstand gegen sein Regime steigt exponentiell, angeführt von der proeuropäischen Opposition. Dies macht ihm natürlich Sorgen,weshalb er nach all den Versuchen, die Unzufriedenheit zu zerstreuen oder abzufedern, Gegenproteste für nächsten Freitag angekündigt hat, die an die größten Gegenproteste aus der Ära Milošević heranreichen sollen. Nur haben die Milošević nicht geholfen, als seine Zeit um war. ... Jetzt ist alles möglich, von Vučićs Ausrufung vorgezogener Neuwahlen für September bis hin zur Eskalation der Situation.“