Angst vor mehr Gewalt nach Angriff auf Dschenin
Israel hat eine zweitägige großangelegte Militäroffensive im Westjordanland für abgeschlossen erklärt. Premier Netanjahu kündigte jedoch an, dies sei "kein einmaliger Vorgang" gewesen. Die Armee war nach mehreren Luftschlägen mit Bodentruppen in die Stadt Dschenin eingedrungen, die als Hochburg militanter Islamisten gilt. Laut palästinensischer Seite wurden mindestens 13 Menschen getötet. Kommentatoren sind besorgt.
Israel macht sich noch mehr Feinde
The Independent mahnt:
„Niemand kann ernsthaft glauben, dass man auf diese Weise die Sache des Friedens voranbringen, die Sicherheit Israels stärken oder die anhaltenden Terroranschläge auf unschuldige israelische Zivilisten stoppen kann. ... Statt der Palästinensischen Autonomiebehörde zu helfen, ihre Macht in Krisenherden wie Dschenin und Nablus wieder aufzubauen, rekrutiert Israel so indirekt Leute für die Dschenin-Brigaden. Bald wird Israel keine palästinensische Regierung mehr haben, mit der es verhandeln kann, und daran trägt es selbst größtenteils die Schuld.“
Es braucht eine politische Lösung
Militäreinsätze dienen nicht dem vorgegebenen Ziel, Terrorismus zu bekämpfen, meint auch Israel-Korrespondent Peter Münch in der Süddeutschen Zeitung:
„Kurzfristige Erfolge werden mit langfristigen Schäden bezahlt: Jeder Tote und jede Zerstörung lassen Hass und Hoffnungslosigkeit auf palästinensischer Seite wachsen. ... Wenn Israel seinen Sieg erklärt hat in Dschenin, dann wird keine Ruhe einkehren, sondern es werden weitere Militäreinsätze folgen - noch größer, noch härter, mit noch mehr Potenzial zur Eskalation an anderen Fronten von Gaza bis Libanon. Militärische Mittel drehen die Spirale der Gewalt weiter. Beenden kann die Gewalt nur eine politische Lösung.“
Antwort auf palästinensische Angriffe
Der Militäreinsatz in Dschenin ist eine Folge der wachsenden Feindseligkeiten, analysiert Jutarnji list und zählt mehrere Angriffe auf Israelis auf:
„In den letzten Monaten kam es zu einem sprunghaften Anstieg in der Zahl der Zwischenfälle auf den Straßen des Westjordanlandes, vom Werfen von Steinen und Molotowcocktails bis zu Angriffen mit Schüssen. Seit Beginn des Jahres haben die Palästinenser 28 Israelis getötet und Ende Juni fand bei einer Tankstelle am Eingang der Siedlung Eli einer der schwersten Zwischenfälle statt, die Ermordung von vier jüdischen Zivilisten. ... Gestern wurden sieben Menschen verletzt, als ein Autofahrer Passanten in der Nähe eines Einkaufszentrums in Tel Aviv überfuhr und danach ausstieg, um die Zivilisten zu erstechen.“
Beide Seiten brauchen neue Anführer
Israelis und Palästinenser sind in alten Mustern gefangen, findet der Kurier:
„Es gilt, endlich aus dem Teufelskreis auszubrechen und das Blutvergießen zu stoppen. Dazu braucht es aber mutige Schritte und auch neue, mutige Politführer, die nicht in den alten Mustern gefangen sind. Das aktuelle Personal? Schlimm: Auf der einen Seite ein 73-jähriger Langzeit-Regierungschef, der 1988 erstmals in die Knesset einzog, auf der anderen mit Mahmud Abbas ein 87-jähriger Präsident, der sich Neuwahlen beständig entzieht. Die beiden stehen nicht für Erneuerung und Hoffnung. Im Gegenteil, sie verspielen die Chancen ihrer Kinder und Enkel.“
Machtvakuum von Mahmud Abbas
Israel hat Angst, dass die Hamas an Einfluss gewinnt, analysiert Corriere della Sera:
„Die Israelis befürchten, dass das Machtvakuum, das durch die Ineffektivität von Präsident Abu Mazen entstanden ist, der Hamas wie schon zuvor in Gaza Raum geben wird. ... Anders als in den 2000er Jahren dominiert die von Jassir Arafat gegründete Fatah selbst in Gebieten wie Dschenin nicht mehr, und es entstehen Gruppen, die nicht zu den traditionellen Fraktionen gehören. Die Verhandlungen über ein Friedensabkommen sind seit 2014 eingefroren und einige israelische Regierungsparteien streben die De-facto-Annexion der Gebiete an und verurteilen die Siedler nicht, die mit Repressalien - von israelischen Behörden als 'Pogrome' bezeichnet - gegen die Dörfer, aus denen die Angreifer kamen, das Gewaltniveau erhöht haben.“
Nicht ohne Risiko
Für die Frankfurter Allgemeine Zeitung birgt die Offensive einige Gefahren:
„Im Gassengewirr des zur Stadt gewordenen einstigen Flüchtlingslagers hat schon mancher israelische Soldat sein Leben gelassen. Hier halten palästinensische Terrororganisationen ihre Rückzugsräume fest in der Hand. Israels Sicherheitskräfte können diesen Zellen Schläge versetzen, doch jeder weiß, wie schnell die Strukturen nachwachsen, wenn sich nichts an den Grundproblemen ändert. ... Bislang konnten Israels Regierungen meist darauf setzen, dass sich die Bürger hinter der Armee versammeln, wenn es wirklich brenzlig wird. Wenn sie aber das Gefühl bekommen, dass junge Israelis geopfert werden, um der Gewaltlogik einer extremistischen Regierung zu folgen, könnte es bald noch schwieriger werden für Netanjahu.“
Sträfliche Untätigkeit der EU
Indem sie tatenlos zusieht, macht die EU sich zum Komplizen der Friedensfeinde, kritisiert Der Standard:
„Europa macht es sich zu leicht. Man lässt Gelder fließen, aus Solidarität mit Israel einerseits, für die humanitäre Hilfe an die Palästinenser andererseits. Wenn Israel Völkerrecht bricht und eine mit EU-Geldern errichtete Schule im Westjordanland niederreißt, baut man sie mit EU-Geldern eben wieder auf. Zugleich sieht man zu, wie Israels rechts-religiöse Regierung einen Teil des Westjordanlands faktisch bereits annektiert hat. ... Den Friedensfeinden auf beiden Seiten kommt das nur gelegen. Jene, die sich immer noch für einen Dialog einsetzen, lässt man damit aber im Stich.“