Gaza: Was bringen Waffenruhe und Gefangenentausch?
Die zwischen Israel und der radikal-islamischen Hamas vereinbarte Waffenruhe zum Austausch von Geiseln und Gefangenen ist seit Freitagmorgen offiziell in Kraft. Sie soll mindestens vier und laut Vermittler Katar bis zu zehn Tage dauern. Zunächst 50 der mutmaßlich 240 Geiseln sollen nun aus der Hamas-Gefangenschaft entlassen werden, im Gegenzug lässt Israel 150 palästinensische Gefangene frei.
Schlüssel für Frieden liegt bei Hamas
Kristeligt Dagblad will nur beschränkt aufatmen:
„In der internationalen Sorge um die Menschen in Gaza ist der Gedanke nahezu verschwunden, dass die Hamas alle Geiseln hier und jetzt freilassen, ihre Waffen niederlegen und vor Israel kapitulieren könnte – und dadurch sofort Frieden ermöglichen könnte. ... Ein Frieden, der den Krieg beenden würde, den die Hamas selbst begonnen hat. ... Wie erwartet hat sich Israels Offensive in Gaza zu einem Sumpf entwickelt, der unermessliches menschliches Leid nach sich zieht. Aber ein menschlich begründbarer Waffenstillstand sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Hamas gehen muss. Es ist die Entscheidung der Hamas, wie blutig es sein wird.“
Ein ungleicher Deal
France-Inter-Kolumnist Pierre Haski deutet die politischen Implikationen des Gefangenenaustauschs:
„Offensichtlich gibt es keine Gemeinsamkeiten zwischen den am 7. Oktober als Geiseln genommenen Zivilisten, darunter Kleinkinder, und den Gefangenen, die wegen – mitunter gewalttätiger – Aktivitäten im Zusammenhang mit dem palästinensischen Unabhängigkeitskampf verurteilt wurden. Was sie jedoch gemeinsam haben, ist der zentrale Platz, den sie in der kollektiven Wahrnehmung beider Völker einnehmen; und damit auch die politischen Auswirkungen, die ihre Freilassungen haben werden. ... Der gesamte politische Nutzen dieser Freilassungen wird natürlich der Hamas zufallen, die sie angestoßen hat. Das ist die Falle, in die die islamistische Bewegung Israel mit ihrem Angriff gelockt hat.“
Heikler und gefährlicher Moment
La Repubblica analysiert:
„Um nach Wochen des Hasses und der Kämpfe die Waffen ruhen zu lassen, bedarf es einer monolithischen Organisation, aber vor allem einer großen Portion Kaltblütigkeit. In der Spannung, die sich bei den Auseinandersetzungen zwischen den Häusern aufgestaut hat, reicht eine Winzigkeit aus, um die Arbeit der Diplomatie mit einer letzten Salve zunichte zu machen. ... Ein Waffenstillstand, der plötzlich zwischen zwei Seiten verhängt wird, ist immer brüchig und den Fehlern, Missverständnissen und Provokationen derjenigen ausgesetzt, die den Krieg bis zum bitteren Ende führen wollen. Im Gazastreifen sind das neben der Hamas noch andere Gruppierungen, vom noch extremeren Islamischen Dschihad bis hin zu den Menschenhändlern, die sich durch den Handel mit Geiseln zu bereichern hoffen.“
Nicht enden wollender Terrorüberfall
Die Hamas nutzt die Situation stets zu ihren Gunsten, warnt der Tages-Anzeiger:
„Die Geiselvermittlung ... hat einerseits Hoffnung genährt, aber auch die Absurdität dieses Krieges offenbart, der in Wahrheit ein nicht enden wollender Terrorüberfall ist. Die Unberechenbarkeit der Hamas wird ja schon allein dadurch dokumentiert, dass sie Babys und Greise sechs Wochen lang in Gefangenschaft hält. Auch die Feuerpause, die im Tausch gegen Geiselleben ausgehandelt würde, verbindet die Hamas ja nicht mit humanitären Zusagen zugunsten der palästinensischen Bevölkerung. Sie wird die Zeit nutzen, um sich zu sammeln und zu sortieren.“
Dieser Waffenstillstand muss von Dauer sein
Das Sterben sollte sofort beendet werden, meint El País:
„Die Lage ist so dramatisch, dass jeder kleine Fortschritt eine große Nachricht ist. ... Jeder Tag des Friedens ist ein gewonnener Tag gegenüber dem Krieg, und dieser Waffenstillstand muss unbefristet werden. Israel und die Hamas verhandeln bereits seit Wochen, ein Dialog ist also nicht unmöglich. Alle israelischen Geiseln haben das Recht, nach Hause zurückzukehren, und die Menschen im Gazastreifen haben das Recht, nicht weiter sterben zu müssen. ... Die Bedrohung darf keine weitere Minute andauern. ... Der angerichtete Schaden ist so groß, dass es Jahre dauern wird, bis ihr Leben wiederhergestellt ist. Dieser Waffenstillstand muss von Dauer sein.“
Die Amerikaner sind zurück
Der Geisel-Deal ist auf den diplomatischen Einfluss der USA zurückzuführen, betont Die Presse:
„Nun sind die Amerikaner als potenter Player wieder mit ganzer Macht zurück im Nahen Osten – in ihrer Doppelrolle als Schutzmacht Israels und zugleich als Vermittler, wie es Henry Kissinger vorexerziert hat. Und so wichtig wie eh und je, weil sonst niemand die diplomatische Power aufbringt – nicht die EU und schon gar nicht China oder Russland mit hohler Doppelmoral. Dass Außenminister Antony Blinken demnächst zum dritten Mal seit Kriegsbeginn in die Region reist, ist ein Zeichen, dass sich die USA verpflichtet sehen, aus den Gräbern und Ruinen eine konstruktive Nachkriegslösung erwachsen zu lassen.“
So kann es nicht weitergehen
Die Feuerpause in Gaza muss erweitert und ein westlich-arabischer Friedensplan entwickelt werden, fordert Politiken:
„Weder Israelis noch Palästinenser noch die Welt um sie herum können es sich leisten, wiederkehrende Kriege als 'normalen Zustand' zu akzeptieren. Vier Tage reichen bei Weitem nicht aus, um die Logik der Gewalt zu durchbrechen. Doch die meisten Geiseln warten auf ihre Freilassung und zwei Nationen sehnen sich nach Frieden. Daher sollten verantwortungsbewusste Regierungen im Westen und in der arabischen Welt eine Verlängerung des Waffenstillstands fordern und unverzüglich eine massive verbindliche Aktion zur Trennung der beiden Parteien starten. Zuerst in Gaza. Aber mit dem Ziel, den Weg für zwei Staaten im Frieden zu ebnen. “