Wo ist Nawalny?
Alexej Nawalny, Russlands bekanntester Strafgefangener, ist seit mehr als zwei Wochen unauffindbar – zumindest für seine Unterstützer, die inzwischen sogar eine Belohnung für Hinweise über das Schicksal des prominenten Putin-Gegners ausgesetzt haben. Die Behörden schweigen, weshalb in Russland Gerüchte über eine Erkrankung, eine Verlegung oder gar einen geplanten Austausch umgehen.
Solidarität wird unterdrückt
Wirtschaftswissenschaftler Wladislaw Inosemzew erklärt auf Facebook, warum in Russland nur wenige Menschen offen ihre Sorge um Nawalny bekunden:
„2021, als Nawalny aus Berlin zurückkehrte und verhaftet wurde, gab es in Dutzenden russischer Städte Demonstrationen, bei denen über zehntausend Menschen festgenommen wurden ... Heute hingegen liegt offensichtlich betäubendes Schweigen über dem Land. ... Vieles spricht dafür, dass die Menschen Angst vor Repressalien haben und sich deshalb scheuen, ihre Unzufriedenheit in irgendeiner Form zu zeigen. Meiner Meinung nach hält sich die Mehrheit jedoch vor allem deshalb bedeckt, weil sie sich der Sinnlosigkeit jeder Aktion bewusst ist.“
Moskaus Schweigen hat System
Der Kreml gibt sich im Fall Nawalny betont unmenschlich, klagt La Stampa:
„Was von dessen Organisation übrig geblieben ist - größtenteils im europäischen Exil - hat versucht, eine Kampagne zu starten, um die russische Regierung zu zwingen, die Frage 'whereisnavalny' zu beantworten. Aber aus offensichtlichen Gründen hat die Mobilisierung hauptsächlich im Ausland stattgefunden. In Russland herrscht Schweigen. ... Selbstverständlich schweigt auch die Regierung, die sich nicht nur nicht verpflichtet fühlt, ein menschliches Gesicht zu zeigen, sondern das Verschwinden des politischen Gefangenen nutzt, um zu zeigen, welches Schicksal diejenigen erwartet, die es wagen zu protestieren.“
Wo bleibt der Aufschrei?
Die Welt lässt Dissidenten wie Nawalny im Stich, beklagt The Times:
„Vielleicht hat Nawalny auf internationale Empörung über seine höchstwahrscheinlich schlechte Behandlung gesetzt. Diese Empörung ist aber nicht eingetreten. Abgesehen vom Kampf seiner engsten Unterstützer hat sich die freie Welt mitschuldig am Verschwinden Nawalnys gemacht. ... Der erstaunliche Mut derer, die sich weigern, vor Tyrannei und Terror zu kapitulieren, ist ein tröstliches Zeugnis menschlichen Geistes und der heldenhafte Entschlossenheit, niemals aufzugeben. Wenn sich solche Menschen von einer Welt, die ihrem Schicksal gleichgültig gegenübersteht, verlassen fühlen, kommt Verzweiflung auf.“