Russland: Offener Protest in Baschkortostan

In der Republik Baschkortostan am Ural kommt es seit Mittwoch zu offenen Protesten und Zusammenstößen mit Polizeikräften - die ersten größeren Demonstrationen in Russland seit Beginn des Großangriffs auf die Ukraine. Auslöser ist die Verurteilung des baschkirischen Nationalisten Fail Alsynow zu vier Jahren Haft. Die Demonstranten fordern seine Freilassung und den Rücktritt des Republik-Chefs Radi Chabirow. Eine Gefahr auch für Moskau?

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Echo (RU) /

Gefährliche Kränkung eines ganzen Volkes

Der baschkirische Politologe Abbas Galliamow sieht in einem von Echo übernommen Telegram-Post ein Risiko für den Kreml:

„Die Behörden müssen zur Unterdrückung der Unzufriedenheit sehr hart vorgehen - was bedeutet, dass sich im Gedächtnis des Volkes eine Menge bitterer Kränkungen ansammelt. Das heißt, dass in einem Moment, in dem es für das Regime sehr schlecht läuft, die Last der vom Volk vorgebrachten Kränkungen ziemlich gewaltig sein kann. So ist auch die Sowjetunion zusammengebrochen. Das Hauptargument der Tschetschenen bei ihrer Unabhängigkeitserklärung war Unmut über ihre ein halbes Jahrhundert zuvor geschehene Deportation. Das ethnische Gedächtnis ist sehr lang. Die Staatsmacht selbst legt jetzt eine Bombe unter das Fundament Russlands.“

Gordonua.com (UA) /

Russische Revolutionen kommen nicht von unten

Die Proteste stellen für das Regime in Moskau kaum eine Gefahr dar, meint Politologe Wiktor Andrussiw in Gordonua.com:

„Revolutionen in Russland kommen nie von unten. Sie ereignen sich immer aufgrund einer Spaltung in der Staatsführung, wenn die neuen Oppositionsführer die Machthaber von gestern sind. ... Eine [revolutionäre] Situation in Russland reift heran, aber sie wird erst dann explodieren, wenn eine Führungsfigur auftaucht. Der Kreml ist sich dessen sehr wohl bewusst und beseitigt deshalb jegliche Anzeichen von Führungsanspruch und abweichenden Meinungen. Ohne einen solchen Akteur wird es keine Revolution geben. Auch werden nicht Probleme im Kriegsverlauf, sondern eine Verschlechterung der sozioökonomischen Lage zur [gesellschaftlichen] Explosion führen.“

Unian (UA) /

Kein Protest gegen Kreml-Linie

Unian glaubt nicht, dass sich die Unruhen ausdehnen werden:

„Die Sache ist, dass die Russen weder die Waffen noch die Stimmung für einen Kampf haben. Protest – ja. Doch er besteht darin, lediglich ein Problem aufzuwerfen und es zum Ausdruck zu bringen. Darüber hinaus geschieht das alles im Rahmen von irgendwelchen Bitten an Putin: 'Putin, hilf uns!' Und leider bedeutet das: Selbst Leute, die sich trauen, gegen etwas zu protestieren, werden für Putin stimmen. ... Denn mit wenigen kleinen Ausnahmen schieben Russen, die mit etwas unzufrieden sind, die Schuld für ihre Probleme auf irgendwelche lokalen Akteure.“