Ungarn: Weitere Rückzüge nach Begnadigungsskandal
Die Affäre um eine Begnadigung in einem Missbrauchsfall schlägt in Ungarn nach dem Rücktritt von Präsidentin Katalin Novák und dem politischen Rückzug der ehemaligen Justizministerin Judit Varga weiter hohe Wellen. Vargas früherer Ehemann, Péter Magyar, erhob Korruptionsvorwürfe gegen das System von Premier Viktor Orbán und legte seine Management-Posten in verschiedenen Unternehmen nieder. Harte Worte in den Kommentarspalten.
Die Wahrheit als letzter Dienst
Der Fall ist noch nicht abgeschlossen, meint mE.ON-t Frauenrechtlerin Rita Antoni in 24.hu:
„Noch hätten Katalin Novák und Judit Varga die Chance, nicht als schamlose Freunde der Pädophilenkomplizen in die Geschichte einzugehen, sondern die Reste ihrer Ehre zu retten. Wie? Ganz einfach: Sie sollten reden! Sagen Sie uns, was genau passiert ist, wer Ihnen 'vorgeschlagen' hat, diese Begnadigung zu gewähren beziehungsweise zu unterschreiben, und wie. Wenn Sie fallen, sollten Sie alle Verantwortlichen mitnehmen. Auf diese Weise können Sie Ihre Mitschuld ein wenig kompensieren und Ihrem Land einen letzten Dienst erweisen.“
Keine Reform von innen heraus möglich
Der rumänische Dienst der Deutschen Welle kommentiert die Vorwürfe des Ex-Ehemanns von Ex-Justizministerin Judit Varga, der das Orbán-System beschuldigt, korrupt zu sein:
„Die meisten von Magyars Behauptungen sind weder neu noch völlig unbekannt. Neu ist nur der Fakt, dass sie aus dem Mund eines Insiders kommen, der behauptet, dass er seit Jahren intern die Situation in Ungarn kritisiert habe und jetzt nicht mehr schweigen wolle. ... Schwer zu glauben, dass die Behauptungen von Péter Magyar das Regime von Orbán tatsächlich gefährden können. Der Premier wird wahrscheinlich personelle Veränderungen vornehmen, um die Situation zu verbessern. Aber die Worte von Magyar zeigen etwas anderes: Dass das System Orbán von Zeit zu Zeit seine eigenen Kinder verschlingt. Und dass dieses System nicht von innen heraus reformiert werden kann.“
Mitten ins Herz
Der regierungsnahe Publizist Zsolt Bayer lobt die beiden Politikerinnen in Magyar Nemzet:
„Katalin Novák und Judit Varga haben einen Fehler gemacht. Vielleicht waren sie nicht umsichtig genug, vielleicht wurden sie irregeführt (wenn ja, dann hoffe ich, dass der Hauptschuldige für den Rest seines Lebens auf der Flucht sein wird). ... Aber das ist jetzt (und nur jetzt!) nebensächlich. Was zählt, ist, dass Katalin Novák und Judit Varga das taten, was sie für richtig hielten. Sie taten, was sie als moralische Wesen tun mussten. Sie spürten auch, dass der Fall unsere politische Gemeinschaft mitten ins Herz getroffen hatte und dass dies der einzige Weg ist, das Gift zu entfernen.“
Bei Fidesz ist etwas zerbrochen
Die beiden Personalien bringen schwere Konflikte ans Licht, meint Magyar Hang:
„Die Behebung der Schäden läuft auf vollen Touren, und die Machtmaschine geht schnell über Katalin Novák (und Judit Varga) hinweg. ... [Jedoch] sieht es so aus, als hätten die Machthaber mehr lose Enden zu verknüpfen, als sie geplant hatten. ... Es ist nun unbestreitbar, dass grausame Fehden und persönliche Kämpfe den Fidesz-Machtblock von innen belasten. Péter Magyar, der auf einen Wandel im Land drängt, hat einen Frontalangriff gegen Antal Rogán gestartet, Orbáns für die Öffentlichkeit kaum sichtbaren Kabinettsminister, der Regierungskommunikation und Geheimdienste in der Hand hält. ... Die Offensive zielt auf das Herzstück der Fidesz-Politik, das enorme Ausmaß der Macht- und Vermögenskonzentration.“