Russland nach dem Terroranschlag: Folter und Gewalt
Wladimir Putin hat islamistische Terroristen für den Anschlag in Moskau mit über 130 Toten verantwortlich gemacht. Die Version, die Ukraine sei schuld, verwarf er mit Verweis auf unbekannte Auftraggeber aber nicht ganz. Sieben Verdächtige sind in Untersuchungshaft. Vier davon wurden bereits vor Gericht geführt, mit sichtbaren Folterspuren. Für Kommentatoren ein Symptom für das gesamtgesellschaftliche Klima.
Eine fatale Ermittlungstaktik
Wissenschaftsjournalist Elia Kabanow warnt auf Facebook, dass staatliche Folter nur zu weiterer Radikalisierung führt:
„In Russland sind auch früher Leute gefoltert worden, aber erstmals scheint dies derart offen, fast live und sogar mit anschließender Auszeichnung geschehen zu sein. Eine unverhohlenere Einladung an Polizisten, Geheimdienstler und Paramilitärs aller Couleur, diese 'verfahrenstechnische Praxis' fortzusetzen, kann man sich kaum vorstellen. ... Ich vermute, die Bewohner der nationalen Republiken werden am meisten abbekommen. ... Einige werden daraufhin auswandern. Andere sich sagen, dass Gott das so will. Und die Dritten werden sich radikalisieren - was genau das ist, was die Terroristen wollten.“
Zurschaustellung erinnert an Teufelsaustreibung
Die Verdächtigen übersät mit Gewaltspuren zu zeigen, hat Kalkül, meint die Neue Zürcher Zeitung:
„Gezielt liessen die Sicherheitskräfte Bilder von brutaler Folter durchsickern: Einem Mann versetzten sie mit einem Draht Stromstösse gegen die Geschlechtsteile. Der jüngste Verdächtige wird direkt aus der Notaufnahme ins Gericht gebracht. Er verliert immer wieder das Bewusstsein, kann aber ein Schuldeingeständnis machen, wie alle. Die Zurschaustellung erinnert an eine Teufelsaustreibung. ... Russlands Polizisten und Soldaten konnten den Anschlag weder verhindern noch die Terroristen stoppen. … Putin, seit einem Vierteljahrhundert Russlands unbestrittener Herrscher, muss deshalb Stärke demonstrieren.“
Gefährlicher Nährboden für Terrorismus
Politologe Wladimir Pastuchow sieht in einem von Echo übernommenen Telegram-Post in der Situation von Billigarbeitern aus Zentralasien ein Risiko für Russland:
„Nicht der FSB hat da ein konkretes Terrornetzwerk übersehen, sondern der Kreml eine gigantische politische Bedrohung, da er durch seine Politik eine ganze Gesellschaftsschicht geschaffen hat, die aufgrund ihrer besonderen, gedemütigten (Sklaven-)Position ein natürlicher Träger und günstiges Umfeld für das terroristische Virus ist. Der Krieg hat die Situation dramatisch verschlimmert und Russlands Wirtschaft noch abhängiger vom zentralasiatischen Prekariat gemacht. ... Mir scheint, 'Krokus' war kein Exzess, sondern nur die erste Schwalbe - und dass wir an der Schwelle einer neuen Terror-Saison in Russland stehen.“