Polen: Ein Jahr Regierung Tusk

Als Donald Tusk an der Spitze einer politisch heterogenen Dreierkoalition im Dezember 2023 ans Ruder kam, waren die Erwartungen nach acht Jahren unter der rechtskonservativen PiS-Regierung groß. Ein Jahr später macht sich Ernüchterung breit. Grund dafür ist auch der Dauerkonflikt der Regierung mit dem PiS-nahen Präsidenten Andrzej Duda. Die polnische Presse zieht Bilanz.

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Gazeta Wyborcza (PL) /

Abgewählte PiS krallt sich fest

In der Gazeta Wyborcza gibt der Publizist Roman Imielski die Schuld für den schwierigen Start vor allem der Vorgängerregierung:

„Acht Jahre Regierungszeit der Leute von Jarosław Kaczyński [Vorsitzender der PiS] haben unsere Demokratie und die Stellung Polens auf der internationalen Bühne ruiniert. Im Vordergrund standen die Interessen der Partei und ihrer Seilschaften, die unser Land kolonisiert haben. Das Ergebnis ist ein nach wie vor gut verankerter 'deep state' mit Zehntausenden PiS-Leuten in öffentlichen Institutionen und staatlichen Unternehmen. ... Ich schreibe darüber, damit wir nicht vergessen, womit die Regierungskoalition bislang konfrontiert war. Sie versucht, sich auf die wichtigen Probleme der Bürger zu konzentrieren, wobei sie selbst auch höchst heterogen ist – von der Linken bis zur stramm konservativen PSL.“

Tygodnik Powszechny (PL) /

Spaltung ist kontraproduktiv

Tygodnik Powszechny bedauert, dass die Regierung mit Präsident Andrzej Duda auf Konfrontationskurs gegangen ist:

„Entscheidend bei der Bewertung der Regierung Tusk ist ihre 'kriegerische' Haltung. Es war von Anfang an klar, dass die Regierung mehr als anderthalb Jahre lang mit dem PiS-Präsidenten, Andrzej Duda, kohabitieren würde. ... Unter dem Gesichtspunkt der Effizienz wäre es daher eine viel bessere Taktik gewesen, mit dem Staatsoberhaupt zu verhandeln. Stattdessen wurde jedoch eine Handlungslogik gewählt, nach der Duda als Feind behandelt wird.“

wPolityce.pl (PL) /

Bürger kommen langsam zur Vernunft

Das rechtskonservative Portal wPolityce.pl beobachtet massiv sinkende Popularitätswerte für die Regierung:

„Das erste Jahr der Regierung Tusk ist vor allem von totaler Rechtswillkür und dem Bruch von Wahlversprechen geprägt. ... Der Wählerzuspruch für die [oppositionelle] PiS ist laut Umfragen trotz der Vernichtungsversuche durch die Regierung, einschließlich des Entzugs der staatlichen Parteienförderung, häufig höher als für die Bürgerplattform [Partei von Tusk]. Und auf die Frage, unter welcher Regierung die Polen besser lebten, geben fast 40 Prozent die Regierung von [Mateusz] Morawiecki [PiS; bis 2023] und nur knapp über 30 Prozent die Tusk-Regierung an. Es scheint, dass die Polen nach nur einem Jahr unter der heutigen Regierung langsam, aber sicher zur Vernunft kommen.“