Brüssel verschärft Streit mit Gazprom
Die EU-Kommission hat dem russischen Energiekonzern Gazprom am Mittwoch mit einer Milliardenstrafe gedroht. Sie wirft dem Unternehmen in einem laufenden Kartellverfahren vor, seine Marktdominanz bei der Gasversorgung mehrerer EU-Staaten zu missbrauchen. Die EU provoziert einen weiteren Konflikt mit Russland, fürchten einige Kommentatoren. Für andere rechtfertigt der Schutz des gemeinsamen Markts Streit mit ausländischen Konzernen und Regierungen.
Kommission pfeift zu Recht auf politische Lage
Langwierige und kraftzehrende Wettbewerbsverfahren gegen gleich zwei Weltkonzerne einzuleiten, verdient nach Ansicht der linksliberalen Berliner Zeitung Respekt: "Unternehmen wie Google und Gazprom haben schier unbegrenzte Möglichkeiten, sich zur Wehr zu setzen. In Bezug auf den russischen Gaskonzern ist überdies bemerkenswert, dass Brüssel nicht aus übergeordneten politischen Gründen von einer Verschärfung des Wettbewerbsverfahrens Abstand genommen hat. Das Verhältnis der Europäer zu Russland ist angesichts des Ukraine-Konflikts bereits ruiniert, das Vorgehen gegen Gazprom dürfte die Dinge eher komplizierter als einfacher machen. Doch hier geht es darum, einen zentralen Pfeiler der Union zu schützen: das Funktionieren des gemeinsamen Marktes. Dafür muss man notfalls Krach mit ausländischen Konzernen und Regierungen in Kauf nehmen."
Stärke zeigen gegenüber Gas-Giganten
Dass sich die EU-Kommission gegen Gazprom wehrt, freut die konservative Tageszeitung Rzeczpospolita: "Sie hat verstanden, dass sie den Koloss aus dem Osten dazu zwingen muss, die Regeln des freien Wettbewerbs anzuerkennen. Ansonsten wird sie ewig dem Diktat einer Firma ausgesetzt sein, die der verlängerte Arm der Politik des Kremls ist. Die Russen praktizieren in Europa eine Politik, die nach dem Prinzip 'teile und herrsche' funktioniert. Das machen sie übrigens nicht nur beim Gas, sondern auch beim Import von Lebensmitteln. Sie verhandeln mit einzelnen Staaten. Dabei werden einige bevorzugt, die anderen sind für sie hingegen nur Prügelknaben - je nach Bedarf des Kremls. Die EU, die einen großen Weltmarkt darstellt, akzeptiert dies nicht und kann dagegen auch effektiv vorgehen, wie man jetzt sieht."
Kartellverfahren ist geopolitisches Glatteis
Mit der Verschärfung des Tons im Kartellverfahren gegen Gazprom begibt sich die EU auf geopolitisches Glatteis, da sie nach Ansicht der liberalen Wirtschaftszeitung Il Sole 24 Ore einen weiteren Konflikt mit Putin provoziert: "Es ist die politische Ebene, die diesen Fall von anderen Verfahren wie die gegen Google oder Microsoft unterscheidet. Sie lenkt die Debatte über Gasleitungen und Verträge in weitaus gefährlichere Gefilde. Den Krieg im Donbass, die auf Eis gelegten Handelsbeziehungen mit Moskau, den Zusammenhalt der 28 EU-Staaten. ... Als die EU die Ermittlung gegen Gazprom einleitete, unterzeichnete Wladimir Putin zum Schutz von Gazprom ein Dekret, das die Übermittlung von Informationen ans Ausland ohne die Zustimmung des Kremls verbot. Jetzt, da Brüssel den ersten Schuss abgefeuert hat, fordert Gazprom, dass der Fall von Staat zu Staat behandelt wird. Moskau erkennt die EU-Rechtsprechung bezüglich der Monopolstellung nicht an. Es drohen also weit gravierendere Folgen als die einer eventuellen Geldstrafe."
EU und Gazprom brauchen einander
Die wechselseitige Abhängigkeit zwingt EU und Gazprom zur gütlichen Einigung im Wettbewerbsstreit, meint die konservative Tageszeitung La Vanguardia: "In Brüssel und anderen europäischen Hauptstädten fürchtet man eine harte Reaktion aus Moskau als Verteidigungsmaßnahme gegen diese Wirtschaftssanktion. Aber es sieht ganz danach aus, als würde man alles unternehmen, um sich friedlich zu einigen. Genau genommen sind die EU-Kommission und der russische Konzern gezwungen, sich zu verstehen, da sich ein Bruch der Beziehungen und der Zusammenarbeit für beide Seiten negativ auswirken würde. Die EU ist der Hauptkunde von Gazprom und das Unternehmen ist gleichzeitig der fast exklusive Erdgaslieferant von vielen Ländern Nord-, Mittel- und Osteuropas."