EU stellt neue Migrationsstrategie vor
Die Europäische Union möchte Flüchtlinge künftig gerechter auf die Mitgliedsstaaten verteilen. Noch im Mai soll ein zeitlich befristetes Quotensystem eingeführt werden, erklärte die Kommission am Mittwoch. Endlich bekommt Europa ein Asylsystem, bei dem nicht nur wenige die Hauptlast tragen, meinen einige Kommentatoren. Andere prophezeien, dass die Quote aus mehreren Gründen nicht funktionieren wird.
Quote allein kann nicht funktionieren
Die von der EU-Kommission vorgeschlagene Quote beendet die Flüchtlingskatastrophe auf dem Mittelmeer nicht, warnt die liberal-konservative Neue Zürcher Zeitung: "Denn ein Verteilschlüssel bietet keinem Migranten eine Alternative zur Überfahrt im Schlepperboot - nur ein riesiges Flüchtlingskontingent könnte hier andere Anreize setzen. Dazu kommen praktische Vorbehalte: Um einen nach Tschechien umgesiedelten Syrer daran zu hindern, sein Glück im informellen Arbeitsmarkt in Deutschland zu versuchen, werden ein erheblicher Kontrollaufwand und ein bürokratisches Sanktionsregime nötig sein. ... Da jedes EU-Land seine eigenen Asylverfahren durchführt, stellen sich auch Fragen der Gleichbehandlung: Schickt man einen irakischen Asylbewerber in ein EU-Land, in dem die Anerkennungsquote für Iraker besonders hoch ist? Oder in eines, in dem seine Chancen auf Asyl geringer sind? Soll die Quote funktionieren, müssen darum auch die Standards für die Durchführung von Asylverfahren und für die Unterbringung und Betreuung von Asylsuchenden angeglichen werden."
Lösungsansatz liegt außerhalb Europas
Der Protest mehrerer EU-Länder gegen eine Quotenregelung für Flüchtlinge kommt für die linke Tageszeitung Právo nicht überraschend: "Die Flüchtlingswellen können politische Konflikte verstärken und den Einfluss rechtsextremer Parteien erhöhen, was wiederum die EU als Ganzes destabilisieren könnte. ... Sinnvoller als Quoten wären ein Militäreinsatz im libyschen Küstenstreifen und der Bau von Flüchtlingslagern unter EU-Ägide. Das könnte dem organisierten Verbrechen das Geschäft mit den Fluchtwilligen verleiden. ... Eine langfristige Lösung ist deutlich komplizierter: Für sie müssten der Nahe Osten und Nordafrika politisch, wirtschaftlich und militärisch stabilisiert werden, mit umfangreichen humanitären Interventionen und Entwicklungshilfe unter Einschluss der reichen arabischen Staaten. ... Dann bleibt die schwerste Aufgabe: Wir müssen auch vor dem Hintergrund unserer demographischen Probleme anpassungsfähige Flüchtlinge zum Nutzen Europas integrieren. Das dauert lange, ist teuer, politisch unpopulär, aber alternativlos."
Nationale Reflexe überwinden
Einen ernsthaften Versuch, die EU-Staaten in der Migrationspolitik endlich in die Verantwortung zu nehmen, erkennt das wirtschaftsliberale Handelsblatt: "Migration geht alle an. Denn sie ist längst kein Problem mehr, das sich allein auf nationaler Ebene regeln ließe. Brüssel hat angekündigt, sich aus der Regulierung des Klein-Kleins - Stichwort Ölkännchen - zurückzuziehen und sich stärker um die wirklich wichtigen Dinge zu kümmern. Mit der Migrationsagenda macht die Kommission nun genau das. Die EU-Staaten sollten den Vorstoß als Chance begreifen und endlich von nationalen Reflexen Abstand nehmen, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Ein europäisches Asylsystem, bei dem nicht nur einige wenige die Hauptlasten tragen, ist überfällig."
Auch Polen muss Flüchtlinge aufnehmen
Polen ist gegen einen Verteilungsschlüssel bei der Aufnahme von Flüchtlingen innerhalb der EU. Das liberale Nachrichtenmagazin Newsweek Polska fordert Warschau auf, seine Haltung zu ändern: "Europa kann es sich nicht leisten, nichts zu unternehmen. Nicht nur deswegen, weil eine solche passive Haltung einfach nur unmoralisch und unmenschlich wäre. Freiheit, Demokratie und Menschenrechte sind die Fundamente, auf denen die gesamte Gemeinschaft gebaut ist. Hat nicht jeder das Menschenrecht, ein normales Leben zu führen? Was für eine Zukunft hat denn eine Zivilisation, die sich auf die Freiheit beruft und sich gleichzeitig vor anderen in einer Festung des Wohlstands verschanzt? Übrigens sollten die Polen etwas mehr Sensibilität für die Probleme der Syrer und der Flüchtlinge aus Libyen und Eritrea zeigen. Denn seit dem 19. Jahrhundert fanden sie stets im Ausland Zuflucht, wenn sie vor Hunger, Krieg und politischer Repression flüchteten."