Athen präsentiert neue Reformvorschläge
Die griechische Regierung hat am Donnerstag neue Reformvorschläge an ihre Verhandlungspartner geschickt. Nach der Bewertung der Liste wollen die EU-Staats- und Regierungschefs am Sonntag über ein neues Hilfspaket entscheiden. Dieser Sondergipfel ist die letzte Chance, um ein Auseinanderfallen Europas zu verhindern, warnen einige Kommentatoren. Andere kritisieren, dass die Verhandlungen so weiterlaufen wie zuvor.
Griechen brauchen Grexit plus Schuldenschnitt
Ein Euroaustritt in Kombination mit einem Schuldenschnitt ist die einzige Möglichkeit, Griechenland zu retten, glaubt das liberale Nachrichtenportal Zeit Online: "Griechenland muss, da es hinreichend bewiesen hat, dass es weder die ökonomische noch politische Reife für eine Euromitgliedschaft besitzt, ein schonender Weg aus der Währungsunion geebnet werden. Die Strukturreformen, die notwendig sind, um Griechenland in eine eurotaugliche Volkswirtschaft zu verwandeln, dürften Jahre in Anspruch nehmen. Solange kann die Eurozone das Land nicht fremdfinanzieren - und solange werden sich die Griechen auch nicht fremdbestimmen lassen wollen. ... Griechenland muss seinen eigenen Weg finden, mit abfedernder Hilfe der EU zwar, aber nicht mehr unter dem Deal 'Geld gegen Reformdiktat'. Gleichzeitig muss ein Schuldenschnitt her. Wenn Griechenland nicht in die Lage versetzt wird, die wenigen Überschüsse, die es erwirtschaftet ..., in den Verwaltungs- und Wirtschaftsaufbau zu stecken, wird es sich nie erholen."
Europa muss aus dem Halbschlaf erwachen
Die Europäer haben sich an die Griechenlandkrise so sehr gewöhnt, dass sie womöglich auch die letzte Chance verpassen und den Sondergipfel der EU-Regierungschefs am Sonntag ungenutzt verstreichen lassen, befürchtet Historiker Timothy Garton Ash in der linksliberalen Tageszeitung El País: "Wir haben schon so viele verzweifelte Eurozonen-Sondergipfel zu Griechenland hinter uns, dass viele Europäer mittlerweile fast der Schlafkrankheit verfallen sind. Im Halbschlaf dämmern wir auf dem Beifahrersitz vor uns hin, während der Wagen auf den Abgrund zurollt. Doch diesmal ist die Gefahr echt. Wenn die Regierungschefs der EU auf dem Sondergipfel keinen Weg aus dem Labyrinth finden, könnte das den Einsturz des bereits 70 Jahre alten Projekts der europäischen Einigung einleiten. Wer glaubt, dass es hier allein um die Zukunft Griechenlands geht, irrt gewaltig. ... Werden wir die Existenzkrise als 'Kairos' zu nutzen wissen, also als günstigen Zeitpunkt für eine wichtige Entscheidung? Als Europäer hoffe ich sehr darauf; als Analyst zweifle ich daran."
Athen wird ein Fass ohne Boden bleiben
Einen Kompromiss wird es am Wochenende wohl geben, überstanden ist die Krise damit noch lange nicht, glaubt die liberale Tageszeitung Dennik N: "Um Renten zu kürzen, reichen Mut und eine Mehrheit im Parlament. Zur Einführung einer effektiven und gerechten Steuerpolitik braucht man dagegen Jahre. ... Für tiefgreifende Änderungen sind Wille, hunderte Fachleute und ein starkes politisches Mandat erforderlich. Das alles hat Griechenland nicht. Theoretisch könnte man sich Experten der OECD, des IWF, der Weltbank oder der EU-Kommission kommen lassen. Syriza will sich den Staat aber nicht unter fremdem Druck umbauen lassen. Im Gegenteil, die Wähler bestätigten der Partei das Mandat, gegen die europäischen Institutionen und deren Änderungswünsche zu kämpfen. Syriza wird deshalb die Union immer wieder neu mit der Drohung erpressen, dass Athen den eigenen Staat im Chaos versinken lässt."
Das Referendum als kollektive Halluzination
Kritik an der Fortsetzung der Verhandlungen zwischen Athen und seinen Gläubigern formuliert auf dem alternativen Webportal ThePressProject Stathis Kouvelakis, Mitglied der Syriza-Führung und Politikwissenschaftler am King's College in London: "Wie kann ein überwältigendes Nein zur Sparpolitik als grünes Licht für ein neues Sparmemorandum interpretiert werden? … Wieso hat eine Volksabstimmung stattgefunden, wenn nun etwas Schlechteres und Restriktiveres als EU-Kommissionspräsident Junckers Vorschläge unterschrieben werden soll? Warum gab es den Kampf um ein Nein, und natürlich: Wieso hat das Nein so deutlich gewonnen?… Das Absurde ist, dass man so tut, als ob nichts geschehen wäre, so als wäre das Referendum eine kollektive Illusion. ... Doch das Referendum hat stattgefunden, es war keine Illusion. ... Sagen wir es in aller Klarheit: Jeder Versuch, den Willen des Volkes ungültig zu machen, ist eine Hybris im alten Sinne des Wortes. Wer es wagt, das Land und die Linke in die Unterwerfung und die Demütigung zu führen, sollte bereit für die entsprechende Nemesis sein."