Kritik an Schengen nach Attacke im Thalys
Nach dem offenbar vereitelten Anschlag in einem französischen Zug am Freitagabend gehen die Behörden von einem radikal-islamischen Hintergrund des mutmaßlichen Täters aus. Belgiens Premier forderte daraufhin eine Veränderung der Schengen-Regeln. Die offenen Grenzen Europas begünstigen Anschlagspläne, meinen auch einige Kommentatoren. Andere betonen, dass Europa nur mit einer gemeinsamen Sicherheitspolitik den Terror bekämpfen kann.
Machtlos gegenüber Islamisten
Die französischen Behörden haben am Sonntag bekannt gegeben, dass der mutmaßliche Thalys-Attentäter ein 25 Jahre alter Marokkaner mit radikal-islamischem Hintergrund ist. Sein Name ist in einer französischen Anti-Terrordatei gespeichert. Die konservative Tageszeitung Le Figaro kritisiert, dass die Überwachung von Islamisten kaum Wirkung zeigt und diese sich in Europa frei bewegen können: "Wenn das verhinderte Attentat im Thalys etwas Gutes hat, dann ist es die Tatsache, dass es uns aus dem Tiefschlaf geweckt hat. Wozu soll es gut sein, tausende von [Überwachungs-] Dateien zu produzieren, wenn die potenziellen Terroristen die Grenzen ganz einfach überwinden und bei uns ein- und ausgehen, wie es ihnen passt? Unsere Gesellschaft stellt gerade fest, dass sie der nie dagewesenen Ausweitung des Kriegs, den uns der radikale Islam liefert, machtlos gegenüber steht."
Mehr Europa ist Antwort auf Terrorismus
Nach dem vereitelten Anschlag wird der Ruf nach Aufhebung des Schengen-Abkommens lauter. Doch das ist der falsche Weg, mahnt die liberale Tageszeitung De Standaard: "Ein Abbau der europäischen Errungenschaften wäre die falsche Antwort. Wenn wir Schengen aufgeben, fällt ein Grundstein des gesamten europäischen Projekts weg. Wenn wir unsere Grenzen erneut systematisch schließen, dann werden wir weder die Terroristen abwehren, noch die Asylkrise lösen. Dafür sind die Ursachen der heutigen Probleme zu komplex und zu global. ... Die Antwort muss nicht weniger, sondern gerade mehr Europa sein. Noch nie war die Notwendigkeit einer gemeinsamen Außenpolitik, einer gemeinsamen Migrationspolitik und einer gemeinsamen Sicherheitspolitik so groß. Die Ansätze dazu gibt es bereits. Die müssen wir weiter vertiefen und verstärken. Es gibt keinen Weg zurück."
Zivilcourage kann Unheil verhindern
Das vereitelte Attentat im Thalys wird die Angst vor islamistischem Terror im Westen vergrößern, fürchtet die linksliberale Tageszeitung The Guardian, lobt aber zugleich die Zivilcourage der Fahrgäste: "Jeder Angriff dieser Art erschüttert die Zivilgesellschaft aufs Neue. Das Vertrauen der Reisenden zueinander wird etwas schwächer werden. Die Sicherheitsvorkehrungen auf Bahnhöfen werden möglicherweise erhöht. Geheimdienste sollten - wieder einmal - die Lehren daraus ziehen, dass es einer als potenzielles Risiko bekannten Person möglich war, sich Waffen für einen Angriff zu beschaffen. Denn Ayoub El Khazzani war als radikaler Islamist identifiziert worden, und unbestätigten Berichten zufolge war er kürzlich nach Syrien gereist. Doch noch wichtiger ist womöglich der neue Beweis dafür, dass der Einsatz von ein paar Menschen Unheil verhindern und Gutes tun kann."
Furchtlosigkeit ist besser als Angst
Weder verschärfte Kontrollen an Bahnhöfen noch lange Geheimdienstlisten bringen mehr Sicherheit, meint die liberal-konservative Tageszeitung Corriere della Sera: "Überwachen und auf der Hut sein ist richtig, doch wir dürfen nicht glauben, wir könnten Orte absichern, die von tausenden Menschen besucht werden. Eine Person als verdächtig zu registrieren, genügt heute ebenfalls nicht mehr. Die berühmten schwarzen Listen sind voller Namen. ... Was uns Bürger betrifft, ist die beste Antwort die Normalität. Wir wissen, dass es eine Gefahr gibt (nicht die einzige und auch nicht die größte), doch wir müssen sie überwinden, indem wir leben. Der Terrorist will uns unseren Lebensraum wegnehmen, indem er öffentliche Verkehrsmittel, Lokale und Straßen mit Blut tränkt. ... Er will töten, die Gesellschaft spalten. ... Der wirkungsvollste Gegenschlag ist es, Furchtlosigkeit zu demonstrieren."