Wie kann die IS-Miliz geschlagen werden?
Im Irak und in Syrien verlieren die Milizen der Terrororganisation Islamischer Staat immer mehr Territorium. Doch dass deren Vormarsch im Nahen Osten gestoppt wird, heißt nicht, dass die Terrorgefahr schwindet, warnen Beobachter.
Kampf gegen IS nun prioritär für Ankara
Nach dem Anschlag in Istanbul denkt die türkische Führung um und bekämpft nun stärker die IS-Terrormiliz, analysiert Der Standard:
„Die politische Führung der Türkei, der bekanntermaßen konservativ-sunnitisch ausgerichtete Präsident mit seiner Partei, hat in der Vergangenheit ihren Beitrag zum Erstarken der Terrormiliz 'Islamischer Staat' (IS) geleistet. Tayyip Erdoğan dachte, er könnte diesen Tiger schon reiten. Alles war gut, was den Sturz des syrischen Machthabers Bashar al-Assad beschleunigen würde. ... Der Terroranschlag auf den Istanbuler Atatürk-Flughafen lässt die Führung im Land umdenken. Auf die Goldwaage sollte man Erdoğans Worte vom IS als der 'größten bösartigen Organisation' dabei nicht legen. Die kurdische Untergrundarmee PKK und ihre Sympathisanten sind für die türkische Regierung nun nicht weniger schlimme Feinde. Doch in Ankara ... sinken nun offenbar die Prioritäten ein: Der Kampf gegen die Islamisten hat Vorrang.“
Wahhabismus und Web sind Quellen des IS
Die blutige Geiselnahme in Dhaka am Wochenende wurde von sieben einheimischen IS-Terroristen verübt, Jugendliche aus gutem Hause. Dass junge Menschen weltweit sich vom IS angezogen fühlen, liegt daran, dass sie über das Internet angelockt werden, finanziert durch reiche Ölstaaten, warnt die katholische Tageszeitung Avvenire:
„Eines ist sicher: Die reichen und satten Jugendlichen, die das Blutbad in Dhaka verübt haben, sind alles Söhne der überzeugenden und radikalisierenden Propaganda, die von den Zentren des Wahhabismus gefördert wird. ... Von der Geldmenge, die unerlässlich aus dem Erdöl-Tresor strömt, um in drei verschiedene Kanäle zu fließen: Waffenkauf, internationale Shoppingtouren (Unternehmen, Fußballmannschaften, Luxusgüter) und religiöses Marketing. ... Ein Marketing, das auch dank des Internets die Grenzen der Wahhabiter-Orthodoxie überschritten hat, um sich als wahrhaftige Mode zu profilieren. ... Wir können dagegen angehen, indem wir mit den beiden Ws abrechnen: Wahhabismus und Web, und dem Dschihadismus die Mittel kappen.“
Hilflosigkeit ist Treibstoff für Terror
Bei zwei Bombenanschlägen in Bagdad sind in der Nacht zum Sonntag nach neuesten Behördenangaben mehr als 200 Menschen getötet worden. Hinter mindestens einem Anschlag steckt die Terrormiliz Islamischer Staat. Deren Ziel ist offenbar nicht mehr der Aufbau eines eigenen Staats, analysiert Die Welt:
„Viele [Attentatsopfer] werden folgen, weil der IS sein Kalifat in Syrien und dem Irak verliert und nun so Krieg führt, wie al-Qaida es einst erprobte. ... Es sind natürlich Metamorphosen der Hilflosigkeit, die IS und al-Qaida vollführen. ... Opferzahlen sind keine bleibende Leistung. Das kann uns beruhigen. Sollte es aber nicht. Weil Hilflosigkeit - in Gesellschaften, Staaten, Biografien - der eigentliche Treibstoff terroristischer Evolutionen ist. Sie wird an Orten wachsen, von denen uns nur die Zahl der Toten und Verletzten erreicht. Zunächst.“
Antwort liegt bei der Nato
Bei einer Geiselnahme der IS-Terrororganisation in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka am Samstag sind 28 Menschen ums Leben gekommen, darunter neun Italiener. Italiens Premier Renzi sagte, man werde die Werte des Westens gegen den Terror verteidigen. La Stampa schlägt vor, wie das laufen könnte:
„Am 8. und 9. Juli treffen sich die Nato-Mitglieder in Warschau. ... Die Nato ist eine politisch-militärische Organisation. Sie ist mit dem Brexit am Horizont die einzige Gesprächsrunde, an der die Vereinigten Staaten, die Mehrheit der EU-Länder (mit Schweden und Finnland, die dem Bündnis immer näher stehen), Großbritannien, Kanada, Türkei, Norwegen gemeinsam teilnehmen. Nach den Attentaten von Istanbul und Dhaka gibt das Treffen in Warschau Gelegenheit, unverzüglich über einen Terrorismus zu sprechen, der lokale Stützpunkte aber keine geografischen Grenzen kennt. Die Bevölkerung erwartet von dem Gipfel eine Antwort auf ihre Ängste. Wenn die Führungskräfte diese schuldig bleiben, werden sie eine einmalige Gelegenheit versäumen.“
Wachsamkeit ist mehr denn je geboten
In Belgien sind bei landesweiten Anti-Terror-Razzien drei Verdächtige festgenommen worden. Die Behörden hatten offenbar Hinweise erhalten, dass am Samstag während des Belgien-Spiels in Bordeaux ein Anschlag in Brüssel verübt werden sollte. Die Tageszeitung La Libre Belgique ist nicht wirklich erleichtert:
„Vielleicht oder sogar wahrscheinlich sind wir am Samstag in Brüssel nur knapp einem Anschlag mit vielen Toten entgangen. … Doch es gilt nach wie vor: Der Dschihadismus verfügt noch immer über ausreichend menschliche und materielle Ressourcen, um in Belgien zuzuschlagen. Was die Rückschläge betrifft, die der Islamische Staat in Libyen und Syrien einstecken musste: Sie sind Anlass zur Zufriedenheit für die westlichen Staaten, aber gleichzeitig auch Grund zur Sorge. Wenn die europäischen Kämpfer wieder in ihre Herkunftsländer zurückkehren, vergrößern sie Truppen, die vielleicht weniger organisiert sind als noch vor einigen Monaten, aber noch so entschlossen und wahrscheinlich auch so gefährlich wie zuvor. Wachsamkeit ist also mehr denn je geboten.“
Nährboden für Terror liegt in Europa
Ungeachtet der militärischen Erfolge gegen die IS-Miliz ist der Kampf gegen den Terrorismus noch lange nicht gewonnen, betont Helsingin Sanomat:
„Es ist der Terrororganisation IS nicht gelungen, das von ihr geplante Kalifat des Schreckens im Norden Iraks und Syriens zu errichten, obwohl die Organisation noch vor zwei Jahren scheinbar unaufhaltbar in neue Gebiete vordrang. … Auf lange Sicht befindet sich die entscheidende Front gegen den IS allerdings in Europa. Hier wird der Kampf mit anderen Mitteln geführt, nicht mit Waffen. … Der IS, zuvor relativ unbekannt, ist mit dem Syrien-Krieg groß geworden und hat altbekannte Terrororganisationen wie Al-Qaida und seine Unterstützergruppen in den Schatten gestellt, die man für schlimmer hielt. Auch der IS wird, wenn man nichts dagegen unternimmt, Nachfolger haben. Der potenzielle Nährboden für Terrorismus ist in Europa. Europäer und Einwanderer müssen gemeinsam sicherstellen, dass die Terrororganisationen nicht von den neuen Einwanderungswellen profitieren.“
Leere Kassen machen dem IS den Garaus
Der Terrormiliz Islamischer Staat geht das Geld aus, was bald ihr Ende bedeuten könnte, glaubt die Tageszeitung Standart:
„Das größte Problem für den IS sind die gesunkenen Einnahmen aus dem Erdölverkauf, zum einen wegen der niedrigen Weltmarktpreise, zum anderen wegen der gezielten Luftschläge, die die Erdölförderung erschweren. … Der Geldmangel wirkt sich demotivierend auf die IS-Kämpfer aus. Medienberichten zufolge beteiligen sich nur etwa 20 Prozent von ihnen aus ideologischen Gründen an den Kämpfen im Irak und Syrien. Die meisten tun es für Geld und für die versprochenen kostenlosen Unterkünfte. Viele Kämpfer sind nun enttäuscht und kehren in ihre Heimatorte zurück. … Je schneller dem IS der Geldhahn abgedreht wird, desto schneller werden die syrischen und irakischen Regierungstruppen die Kontrolle über die Erdölraffinerien zurückbekommen und desto schneller wird die Welt das Geschwür des 21. Jahrhunderts loswerden.“
Terror muss in Europa bekämpft werden
Solange er nicht über die Einsätze im Nahen Osten hinausgeht, ist der Kampf gegen den Terrorismus nicht zu gewinnen, mahnt der Sicherheitsexperte Máté Szalai in der Wirtschaftszeitung Világgazdaság:
„Mit der Invasion in Afghanistan 2001 konnte al-Qaida nicht besiegt werden, im Gegenteil: Das internationale Netzwerk der Terrororganisation wurde erst danach so richtig aufgebaut. Mit der Besetzung eines Landes im Nahen Osten werden die Terrorzellen in Europa nicht verschwinden. ... Beim Kampf gegen den Terrorismus sind nicht (ausschließlich) der Islamische Staat, geschweige denn eine andere Zivilisation zu besiegen, sondern die Brüder el-Bakraoui und Konsorten. Wir haben nicht die Konflikte im Nahen Osten zu lösen, sondern jene lokalen Probleme, die europäische Bürger dazu bewegen, sich von den europäischen Werten abzuwenden und sich den Terroristen anzuschließen.“
Unterdrückte flüchten in den radikalen Islam
Je mehr Muslime in Europa Armut und Unterdrückung erfahren, desto größer die Gefahr, dass sie sich radikalisieren, warnt das Nachrichtenportal Dnevnik:
„Einer der Gründe, warum immer mehr in Europa geborene Muslime in die Fänge des radikalen Islam geraten, ist, dass er ihnen etwas gibt, was die europäische Ideologie ihnen nicht geben kann: Eine romantische Erklärung, warum sie arm und unterdrückt sind, während die anderen um sie herum ein scheinbar glückliches und wohlhabendes Leben führen. Der radikale Islam macht sie zu Helden. Er lässt sie in eine Art ästhetisierten Gehorsam fallen. Dieser lässt sie abstumpfen, so dass sie sich nicht mehr fragen, was sie mit der Freiheit anfangen sollen, die ihnen die Europäer aufzwingen. Nicht zuletzt bietet er ihnen das Bewusstsein, Teil einer starken Gemeinschaft zu sein, mit der sie sich identifizieren wollen - im Gegensatz zum verhassten Europa der Parlamente, der Kirchen und der Ghettos, zu dem sie nicht dazugehören wollen.“
Kampf gegen IS beginnt in der Schule
Europäische Bildungsminister wollen mit einem neuen Unterrichtsprogramm der Radikalisierung von Jugendlichen entgegenwirken. Für die linksliberale Tageszeitung De Morgen ist das ein guter erster Schritt:
„Die Zahl der muslimischen Jugendlichen, die finden, dass die Gewalt von al-Qaida und IS legitim ist, ist bereits sehr groß. Und auf der anderen Seite nimmt auch die islamophobe Kraft der extremen Rechten zu. Wenn die gefährliche Polarisierung nicht gestoppt wird, wird es immer schwieriger, eine harmonische Gesellschaft zu bilden. Das ist genau das, was der Islamische Staat mit den europäischen Gesellschaften tun will: durch Terror und Angst Gruppen gegeneinander aufhetzen. Wenn wir diese zerstörerischen Kräfte durch Bildung brechen wollen, müssen wir unsere Lehrer und Ausbilder viel besser unterstützen in dem täglichen Bestreben, Demokratie, Offenheit und Säkularismus ohne Tabus und begeistert zu erklären.“
Der IS gerät in die Defensive
Wie sich Europas Kampf gegen die IS-Miliz entwickeln könnte, skizziert die irakische Tageszeitung al-Sabah:
„Ein Szenario sieht wie folgt aus: Der Westen drängt darauf, das Assad-Regime zu stürzen, damit der Weg frei wird für eine Übergangsphase unter Führung der regulären syrischen Armee und der moderaten Opposition, die dann mit internationaler Unterstützung den IS bekämpfen sollen. Möglich ist aber auch eine andere Entwicklung: Der Westen sieht sich gezwungen, am Assad-Regime festzuhalten, um ihn in die internationale Koalition zur Bekämpfung des IS zu integrieren. ... Auch die Lage in Libyen könnte durch die Anschläge beeinflusst werden. Bekanntlich versucht Europa, auf ein militärisches Eingreifen in Libyen hinzuwirken, unter Beteiligung der Nachbarländer Tunesien und Algerien. Das heißt, Europa denkt darüber nach, den IS direkt am Boden zu bekämpfen - eine wichtige Entwicklung, die zur Niederlage des IS führen wird.“
Terrormiliz muss ideologisch besiegt werden
Mit militärischen Erfolgen in Nahost allein lässt sich die IS-Miliz nicht vernichten, warnt die konservative Tageszeitung Hürriyet:
„Al-Kaida etwa kontrollierte nie so ein Gebiet wie der IS; trotzdem konnte sie mit der Hilfe bestimmter Länder oder Gruppen ihre Terroranschläge überall auf der Welt fortsetzen. Angesichts dessen ist klar: Die Zurückdrängung des IS aus seinen heute kontrollierten Gebieten reicht nicht aus, solange die Ideologie, die seinen Terror nährt, nicht ausstirbt. ... Dass viele Personen, die noch nie in dieser Region gelebt haben und vielleicht mit dem IS nicht einmal eine direkte Verbindung hegen, den Namen dieser Terrororganisation nutzen, um in den Ländern, in denen sie leben, Terror zu verbreiten, ist in der Wirkungslosigkeit des Anti-Terror-Kampfs auf globaler Ebene begründet. Die Terrorfinanzierung, der Grenzschutz, die Terrorpropaganda über Satellit und die logistische Unterstützung der Terrorgruppen haben ein solches Ausmaß erreicht, dass sie ein Staat allein nicht bekämpfen kann.“
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