Hollande will nicht erneut Präsident werden
François Hollande wird nicht zur französischen Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr antreten. Der amtierende Präsident räumte ein, dass eine erneute Kandidatur ein Risiko für seine Partei bedeuten könnte. Kommentatoren sehen in Hollandes Entscheidung ein mögliches Signal gegen Populismus und haben bereits einen klaren Favoriten im Kreis der Sozialisten.
Valls muss Hollandes Erbe antreten
Anstelle von François Hollande wird wohl Premier Manuel Valls in den Präsidentschaftswahlkampf ziehen, mutmaßt das Handelsblatt:
„Valls selber hat seine Kandidatur noch nicht erklärt, aber es herrscht kein Zweifel, dass er sich darauf vorbereitet hat. Der Premier will nur eine Schamfrist verstreichen lassen, und er muss seine Taktik klären. Vermutlich wird er schon bald als Premier zurücktreten, um Zeit und freie Bahn für den Wahlkampf zu haben. Seine Positionierung wird nicht einfach: Er will und muss Hollandes Erbe vertreten, schon um dessen Gefolgsleute hinter sich zu bringen. Gleichzeitig gilt es, sich als der Politiker zu profilieren, der anders ist als der erfolglose Hollande. Und obendrein wird er versuchen, alle auseinanderstrebenden Flügel irgendwie zusammenzubinden. Selbst wenn er die Vorwahl gewinnt: Der Überlebenskampf der Sozialisten wird weiter andauern.“
Frankreich wird die Freiheit verteidigen
Frankreich könnte wieder eine Vorreiterrolle in Europa einnehmen, glaubt Le Figaro:
„Das unglaubliche Debakel der Amtszeit von Hollande, das von seiner beispiellosen Entscheidung, nicht noch einmal anzutreten, bestätigt wird, könnte paradoxerweise ein Gutes haben. Es könnte nämlich die Franzosen davon überzeugen, dass sie die radikalen Veränderungen durchführen, die für die Sanierung unseres Landes notwendig sind. Zu einem Zeitpunkt, an dem den Demokratien auf bedenkliche Weise die Luft ausgeht, ist Frankreich in der Lage, die Ausbreitung des Populismus zu stoppen, indem es dem Front National widersteht. So gesehen haben die Präsidentschaftswahlen in 2017 eine historische Dimension. ... In den Wirren der Geschichte würde Frankreich wieder einmal gegen den Strom schwimmen, um den Fortschritt zu fördern und die Freiheit zu verteidigen.“
Glaubwürdigkeit ist wiederhergestellt
Mit seiner Entscheidung, nicht für eine zweite Amtszeit zu kandidieren, beweist Hollande Mut, lobt der Tages-Anzeiger:
„Seine Entscheidung ist so mutig wie unerwartet. Aber vermutlich hat Frankreichs Präsident gestern Abend bei seinen Landsleuten genau die Glaubwürdigkeit wiedergewonnen, die er in den Jahren zuvor verspielt hatte. Seine Botschaft ist unmissverständlich: Er will doch als 'normaler Präsident' in die Annalen eingehen, weil er nicht machttrunken handelt, sondern die persönlichen Interessen hinter die der Nation zurückstellt. Hollande sprach über die Gefahr des Rechtspopulismus und die Wahlen in den USA: 'Mehr als jeder andere weiss ich einzuschätzen, was in der Zeit, die jetzt beginnt, auf dem Spiel steht.' ... Die Karten für die Präsidentschaftswahlen im kommenden April werden damit vollständig neu gemischt. Zwei der zentralen Figuren der letzten Jahrzehnte, Hollande wie auch der konservative Ex-Präsident Nicolas Sarkozy, sind aus dem Spiel.“
Hollandes Erfolge werden später sichtbar
Die positive Bilanz von Hollandes Amtszeit wird mit zunehmendem zeitlichem Abstand klarer werden, ist Libération überzeugt:
„Seit seinem Amtsantritt stand Hollande unter Beschuss durch eine erbarmungslose Opposition, sein eigenes Lager hat ihm Stück für Stück den Rücken zugekehrt. Trotz der Widrigkeiten und mit der Beharrlichkeit eines von seiner Politik Überzeugten hat er jedoch weiterregiert. ... Während viele Länder für eine Sparpolitik optiert haben, die die Ungleichheiten verschlimmerte, hat Frankreich in einer schwierigen Wirtschaftslage den Schutz für seine Beschäftigten im Wesentlichen bewahrt. Das Land hat die schlimmsten Terrorangriffe seiner Geschichte erlebt und notwendige Gesellschaftsreformen durchgeführt. Mit der Zeit wird zumindest diese Beständigkeit anerkannt werden. Die wahre Wende zeichnet sich am Horizont ab. Mit François Fillon deutet sich der Übergang zu einem ungerechten und bereits überkommenen Modell an. Das ist die echte Bedrohung.“
Präsident ohne Leidenschaft
Hollandes blutleerer Auftritt in stürmischen Zeiten war sein größter Fehler, kritisiert La Vanguardia:
„Die Franzosen wollten im Grunde noch nie 'normale' Präsidenten sondern Ausnahmemenschen. Jeanne d'Arc, Napoleon, Charles de Gaulle: Frankreichs Geschichte ist voll von Persönlichkeiten, die in Extremsituationen aufgetaucht sind. Europa und Frankreich haben die Krise von 2008 noch nicht überwunden. Im Gegenteil, der Populismus ist die direkte Folge davon. Hollande, ein anpassungsfähiger Mensch mit Neigung zum Kompromiss, war den Herausforderungen nicht gewachsen. Er ist sich selbst treu geblieben und hat das Boot mit Vorsicht und Konservativismus durch den Sturm gebracht, ohne auch nur das geringste Zeichen von Leidenschaft - weder innen- noch außenpolitisch. ... Es stimmt, dass Hollande keine gravierenden Fehler gemacht hat. Aber wie sollte er sie auch begehen, wenn er immerzu halbherzig gehandelt hat?“
Ein Eingeständnis des Scheiterns
Dass Hollande nicht mehr antritt, zeigt nach Ansicht des Soziologen Marc Lazar in La Repubblica vor allem eines:
„In seiner gestrigen Fernsehansprache, die alle überrascht hat, verteidigte er auf entschiedene Weise sein Handeln seit seinem Einzug in den Elysée-Palast. Dennoch kann er nicht verhindern, dass die Mehrheit der Franzosen denken wird, dass diese Entscheidung ein Eingeständnis seines Scheiterns darstellt. … Hollande war sich alles andere als sicher, die Vorwahl der Sozialisten im Januar, an denen er teilnehmen wollte, für sich zu entscheiden. Bei einer Vorwahl der eigenen Partei geschlagen zu werden, hätte jedoch eine unerträgliche Demütigung bedeutet. ... Die Linken haben so oder so beste Chancen, die Präsidentschaftswahl 2017 zu verlieren. Doch ganz gleich ob sie verlieren oder siegen - was unwahrscheinlich ist - wird die Partei den Wiederaufbau in Angriff nehmen müssen und mit dem Aufräumen des Trümmerfelds beginnen, das Hollande hinterlässt.“