Bringt Gentiloni Italien durch die Krise?
Der bisherige Außenminister Italiens, Paolo Gentiloni, übernimmt das Amt des zurückgetretenen Premiers Matteo Renzi. Staatspräsident Sergio Mattarella ernannte ihn am Sonntag zum neuen Regierungschef. Er muss Italien durch ein schwieriges Jahr 2017 lotsen, in dem heikle Neuwahlen anstehen könnten, prophezeien Kommentatoren.
Bald regieren die Euro-Gegner
Einer von Technokraten geführten, schwachen Regierung wird es nicht gelingen, Italien auf Reformkurs zu bringen, fürchtet The Irish Examiner:
„Renzi war die beste und vielleicht letzte Hoffnung der EU-freundlichen Führungsschicht, jene wachstumsfördernden Reformen umzusetzen, die nötig sind, um Italiens langfristige Zukunft in der Eurozone zu sichern. Sich mit einer schwachen, von Technokraten geführten Regierung durchzuwursteln ist so, als würde man nur darauf warten, dass ein Unglück passiert. Weil die rechtsextreme Lega Nord und Forza Italia des früheren Premiers Silvio Berlusconi nun ebenfalls gegen den Euro ausgerichtet sind, ist es vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis eine Anti-Euro-Regierung an die Macht kommt. Vielleicht ist das nach der nächsten Parlamentswahl der Fall, die planmäßig 2018 stattfinden soll. Möglich wäre aber auch schon eine Wahl im kommenden Frühjahr. Dann ist alles möglich.“
Wann Neuwahlen kommen, ist unklar
Die Kernfrage ist, wie lange das Kabinett Gentiloni bestehen bleibt, analysiert La Stampa:
„Wird es eine Joghurt-Regierung sein, die ein Verfallsdatum von nur wenigen Wochen hat? Oder hält sie, solange sie die notwendigen Stimmen im Parlament hat? Noch bleibt die Frage unterschwellig, doch wird sie sich bald stellen, bei aller Loyalität Gentilonis Renzi gegenüber. Dahinter steckt ein unvermeidbarer Gegensatz, denn ein Premier, der sein Mandat nicht fortsetzen will, ist wider die Natur. Der Chefsekretär der PD [Renzi] will hingegen so schnell wie möglich wählen gehen. Renzis Wunschdatum ist der 4. Juni, Pfingstsonntag. Wird Gentiloni damit einverstanden sein, so früh zurückzutreten? Und vor allem wird Staatspräsident Mattarella es für angemessen erachten, das Parlament aufzulösen und den G7-Gipfel Ende Mai in Italien, unter italienischem Vorsitz, von einer zurückgetretenen Regierung lenken zu lassen - mitten im Wahlkampf?“
Renzi plant triumphale Rückkehr
Die Berufung Gentilonis ist ein Coup des Vorgängers Matteo Renzi, meint die Süddeutsche Zeitung:
„Renzi hat nun nicht vor, die Politik zu verlassen, wie er das mal verheißen hatte für den Fall, dass er das Verfassungsreferendum verliere. Eben erst zurückgetreten, bereitet er sich bereits auf die kommenden Wahlen vor. Und die werden wohl vor dem regulären Ende der Legislaturperiode stattfinden. 2017 schon. In der Zwischenzeit sitzt ein Vertrauter im [Regierungssitz] Palazzo Chigi, der weder die Ambition noch das Charisma hat, Renzi herauszufordern. Doch ob das reicht für eine triumphale Rückkehr? In seiner Partei, die Renzi als Generalsekretär leitet, laufen die Abrechnungen an. Manche haben Renzi noch nie gemocht, andere halten ihn nach der Niederlage an der Urne für eine Hypothek. Doch alle Umfragen zeigen, dass kein anderer Parteipolitiker im Land beliebter ist. Die Werte stiegen in den vergangenen Tagen noch an, weil er konsequent war und zurücktrat.“
Übergangspremier in schwierigen Zeiten
Italiens chronische Unregierbarkeit macht El Mundo besonders in diesen Zeiten große Sorge:
„Wenn Gentiloni keine Fehler machen will, muss er durch diese Welle des Populismus, die Europa überrollt, sehr vorsichtig schreiten. Sonst bläst er dem Komödianten Beppe Grillo von M5S oder der ausländerfeindlichen Lega Nord nur mehr Wind in die Segel. Unsicherheit und Instabilität sind das Leitmotiv einer EU geworden, für die es in den kommenden zwei Jahren ums Ganze geht. Die wahrscheinlichen Wahlen in Italien und die Wahlen in Frankreich und Deutschland - drei Säulen des europäischen Projekts - sind von Parteien bedroht, in deren Programm die Zerstörung europäischer Werte steht.“
Gentiloni darf kein Klon von Renzi sein
Gentilonis Hauptaufgabe wird es sein, weiteren Schaden von der politischen Klasse abzuhalten, meint Corriere della Sera:
„Gentiloni muss jetzt zeigen, dass er kein Avatar von Renzi ist (was ihm schon jetzt angekreidet wird) und eine Regierungsmannschaft zusammenstellen, die den Aufgaben, die sie erwartet, gewachsen ist. Schon jetzt melden sich Parteien und Splitterparteien mit Ansprüchen zu Wort, die strikt zurückgewiesen werden müssen. Der Misskredit der politischen Klasse ist schon hoch genug. Es besteht kein Bedarf, ihn noch mehr zu schüren durch weitere Fehler. Es wäre besser gewesen, wenn eine Regierung, die das Wahlgesetz reformieren und das Land in eine neue Wahl führen muss, eine breitere Unterstützung im Parlament gehabt hätte, als nur die Mehrheit, die vor der Krise bestand. Doch das Verlangen der Opposition, das Ergebnis des Referendums für sich zu nutzen, hat dies verhindert.“