Schweizer stimmen für Atomausstieg
In einer Volksabstimmung haben sich die Schweizer am Sonntag für einen schrittweisen Atomausstieg und die stärkere Förderung erneuerbarer Energien ausgesprochen. Europas Kommentatoren begrüßen den Schritt, sehen bei dem neuen Energiegesetz aber durchaus noch Nachbesserungsbedarf.
Eine Wende, aber keine Revolution
Die Entscheidung war alternativlos, meint Corriere del Ticino:
„Der mittelfristige Atomausstieg ist eine historische Entscheidung, doch mehr noch als von politischen wurde sie von marktwirtschaftlichen Gründen bestimmt. Bei den heutigen Marktbedingungen, die sich kaum so bald ändern werden, würde man niemanden finden, der in neue Kernkraftwerke investieren will. ... Es ist eine Wende, keine Revolution. Zeitweise werden schon bestehende Zuschüsse für erneuerbare Energien erhöht. Gleichzeitig muss man sagen: Wenn zusätzlich zu den Tausenden begonnenen Projekten für erneuerbare Energien noch 37.000 weitere auf ihre Genehmigung warten, heißt das, dass die Sensibilität für das Thema hoch und die Bereitschaft zum Wandel weit verbreitet ist. Die Schweiz macht somit keinen Sprung ins Ungewisse. Sie kann jetzt mit erneuerbaren Energien dort Boden wettmachen, wo sich der Sektor in anderen Ländern längst behauptet hat.“
Privathaushalte zahlen die Zeche
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung vermisst im neuen Energiegesetz den Mut zu marktwirtschaftlichen Prinzipien:
„Zwar ist es klug, dass die Eidgenossen, anders als die Deutschen, ihre Kernkraftwerke noch so lange laufen lassen, wie deren Betriebssicherheit gewährleistet ist. Dadurch gewinnen sie Zeit, die wegfallenden Produktionsmengen auf andere Weise zu ersetzen. Aber zugleich hat das Parlament unter Mithilfe unterschiedlicher Lobbygruppen ein großes Subventionspaket geschnürt. Damit soll nicht nur die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien forciert, sondern auch den defizitären Wasserkraftwerken unter die Arme gegriffen werden. … Die Zeche zahlen die Privathaushalte mit überhöhten Stromtarifen. Außerdem steht die Marktabschottung dem Abschluss eines Stromabkommens mit der EU entgegen. Ein solches würde die Energieversorgung in der Schweiz langfristig weitaus besser absichern als das dirigistische, unausgegorene Energiegesetz, dem die Eidgenossen nun zugestimmt haben.“
So muss Politik aussehen!
An der Schweizer Energiewende und dem Weg dorthin sollte sich Belgien ein Beispiel nehmen, fordert De Standaard:
„Es ist der Verdienst von Schweizer Politikern, dass sie eine Vision hatten, ihre Vision in einen Plan umsetzten und diesen auch noch so enthusiastisch verkauften, dass die Bürger ihn mittragen konnten. Das ist ein Beispiel von Politik. Sich für etwas zu entscheiden und dann auch dafür einzustehen. Was in der Schweiz passiert ist, steht in einem starken Kontrast dazu, wie es in Flandern und in ganz Belgien läuft. Wir sind eines der wohlhabendsten Länder der Welt. Wir haben die Voraussetzungen, um wie die Schweiz, Norwegen und Dänemark radikale Umwelt- und Klimaentscheidungen zu treffen. Aber ... den Politikern fehlt es oft an Visionen, eigener Überzeugung und entsprechend an Überzeugungskraft.“