Rumäniens Koalition stürzt eigenen Premier
Die rumänischen Parteien PSD und Alde haben am Mittwoch die eigene Regierung unter Premier Sorin Grindeanu per Misstrauensvotum gestürzt. Hintergrund ist ein Kräftemessen zwischen PSD-Chef Liviu Dragnea und dem Premier. Die bitteren Folgen dieses Machtkampfs werden dem Land Kommentatoren zufolge schwer zu schaffen machen.
Dragnea reißt uns alle in den Abgrund
Dass die neue Regierung noch inkompetenter sein wird als die bisherige, fürchtet România Liberă:
„Die Regierung von Grindeanu war eine der schwächsten der jüngsten rumänischen Geschichte. Dragnea geht angeschlagen aus der Konfrontation hervor. ... Er wird nun höchstwahrscheinlich Marionetten für das neue Kabinett benennen, die noch gehorsamer sind als die bisherigen und damit noch inkompetenter. ... Der Druck auf die Wirtschaft wird enorm werden, die Staatsdiener - die erneut betrogen wurden - werden noch enttäuschter sein, und es werden sich immer mehr unerfüllte Wahlversprechen ansammeln. Das größte Drama aber ist, dass Dragnea sich nicht so leicht aus diesem Spiel entfernen lässt. Im Gegenteil, er ist bereit, uns alle mit in den Abgrund zu reißen.“
Wird Rumänien zum Ganovenstaat?
Auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung sieht Rumänien von einer tiefgreifenden politischen Krise bedroht:
„[D]er Sturz des Ministerpräsidenten durch dessen eigene Partei demonstriert deutlich, dass die Führung der sogenannten Sozialdemokraten bereit ist, das Land in eine politische Krise von unabsehbarer Dauer zu stürzen und womöglich gar seine Handlungsfähigkeit zu gefährden, nur um sich selbst vor Strafverfolgung zu schützen. Mit dem ersten, allzu dreisten Anlauf dazu Anfang des Jahres hat die Partei ... die größten Proteste seit dem Ende des Kommunismus 1989 hervorgerufen. Nach dem Scheitern unter dem Druck der Straße versucht sie es auf anderen Wegen weiter ... Gäbe es nicht eine selbstbewusste Justiz, eine wache Bürgergesellschaft und Präsident Johannis, der seine Hand über beide hält: Rumänien wäre schnell auf dem Weg zu einem Ganovenstaat.“
Rumänien manövriert sich selbst ins Aus
Bundeskanzlerin Merkel hat sich am Montag mit dem rumänischen Präsidenten Johannis über den Brexit beraten. Die rumänische Regierungskrise könnte das Vertrauensverhältnis ihrer beiden Länder zerstören, warnt Hotnews:
„Für das Interesse Deutschlands an Rumänien gibt es eine ganz einfache Erklärung. Es ist das letzte Land, auf das sich Berlin in Zentral- und Osteuropa verlassen kann. … Rumänien ist eine pro-westliche Insel. Es ist eng mit Amerika verbunden, unterstützt das französisch-deutsche Tandem in der EU und liegt inmitten einer Vielzahl von Ländern, die doppelzüngig sind oder sich abriegeln wollen. … Wie kann man seine eigene Regierung ohne triftigen Grund stürzen, nur weil es um das eigene Machtkalkül geht? Diese unverantwortliche Politik muss gestoppt werden, bevor die letzte stabile Insel in Osteuropa sich in einen mafiösen Staat verwandelt. … Wenn es dazu kommt, sind wir weg vom Fenster.“
PSD wird Streit nicht überleben
Der Machtkampf wird die regierende sozialdemokratische PSD zerreißen, meint Ziare:
„Sicherheit und Optimismus in der Partei sind verschwunden, stattdessen herrscht Erstaunen und Ekel. Der Parteichef [Dragnea] wird keine Verbindung mehr zur Wählerschaft aufbauen können, weil es ihm an Rückhalt in der eigenen Partei fehlt. Dass nun auch noch [Ex-Premier Victor] Ponta [als neuer Generalsekretär der Regierung] die Bühne betritt, ist ein atemberaubender Schlag gegen Liviu Dragnea und bedeutet unerwartete Schützenhilfe für [den amtierenden Premier Sorin] Grindeanu, der versucht auf seinem Regierungsposten zu bleiben. Der Krieg zwischen Grindeanu und Dragnea hat damit eine neue Qualität erreicht, und es gibt Anzeichen, dass die PSD dieser Auseinandersetzung nicht standhält.“
Chance für rumänische Opposition
Die Opposition im Parlament muss nun die Chance ergreifen, die die Regierungskrise ihr bietet, appelliert die Tageszeitung România Liberă:
„Seit fünf Monaten versucht die PSD nichts anderes, als die Bevölkerung mit Almosen zu bestechen, in der Hoffnung, das Volk im Zaum zu halten, sollte sie einen neuen Dringlichkeitserlass verabschieden [um den Antikorruptionskampf aufzuweichen]. … Ganz gleich, ob die Grindeanu-Regierung an der Macht bleibt oder gestürzt wird, dieses Land kann es sich einfach nicht leisten, zu versumpfen und kein nationales Projekt zu haben. … Ein erster Schritt sollte getan werden: Die Opposition aus [liberaler] PNL und [Newcomerpartei] USR sollten eine gemeinsame Sprache finden und bei der Aufstellung eines kompetenten Premiers kooperieren.“