TV-Duell der Langweiler?
Auch außerhalb Deutschlands war die Aufmerksamkeit für das Fernsehduell zwischen Bundeskanzlerin Merkel und ihrem Herausforderer Schulz groß. Was viele deutsche Medien als "langweilige" Veranstaltung kritisierten, brachte aus Sicht von Europas Kommentatoren doch einige Erkenntnisse.
Langweilig im besten Sinne
Politiken zeigt sich von der sachlichen Auseinandersetzung entzückt:
„Das sachliche Gespräch und die Form des Duells zeigen deutlich, dass der Kampf ums Kanzleramt ein zivilisierter und erwachsener Wahlkampf in einer reifen Demokratie ist. Der Kontrast zum amerikanischen Wahlkampf zwischen Hillary Clinton und Donald Trump in den USA vor einem Jahr ist nur zu deutlich. Einige werden die deutsche Art, Wahlkampf zu führen, 'langweilig' nennen. Aber dann ist 'langweilig' gleichbedeutend mit nuancierten Gesprächen über komplizierte Themen zwischen den politischen Hauptkonkurrenten. ... Und wenn das so ist, dann dürfen die deutschen Politiker und Medien gerne mehr 'Langweiliges' über die dänischen Grenze nach Norden senden.“
Migrationsdebatte verheißt nichts Gutes
Der ehemalige Berlin-Korrespondent der Rzeczpospolita, Jerzy Haszczyński, findet es bezeichnend, dass sich das Duell ausgiebig mit Fragen rund um die Flüchtlingskrise befasste:
„Es gibt offensichtlich nichts Wichtigeres für Deutschland als die Migrationsfrage. Und wenn das für Deutschland so ist, dann auch für die ganze EU. Das verheißt nichts Gutes. Der Konflikt über den Umgang mit Zuwanderern aus anderen Weltregionen wird die Zukunft der EU prägen. Einige deutsche Politiker wie Schulz wollen die Vergabe von EU-Mitteln von der Aufnahme von Flüchtlingen abhängig machen. ... Berlin will außerdem einen Mechanismus zur Verteilung Geflüchteter einführen und die Mitgliedsstaaten der EU dauerhaft zwingen, eine bestimmte Anzahl von ihnen aufzunehmen. Alles unter dem Motto der Solidarität.“
Kommt die nächste GroKo?
Das Fernsehduell hat immerhin offenbart, dass SPD und CDU grundsätzlich zu einer Neuauflage der Großen Koalition bereit sind, analysiert Il Sole 24 Ore:
„Auch, wenn das weder die bevorzugte Option von Merkel ist, die ein Bündnis mit FDP oder Grünen vorzieht, noch von Schulz, der doch gerade deshalb vergangenen Januar von der SPD auserkoren wurde, weil man sich von ihm eine Alternative zur Großen Koalition erhoffte. ... Das Debakel der Landtagswahlen im Frühjahr hat diese Hoffnung begraben, denn die Wähler lehnten ein Bündnis aus SPD, Linken und Grünen klar ab. … Die Koalitionsverhandlungen nach dem 24. September drohen lang zu werden, auch wenn bereits klar ist, wer die neue Regierung lenken wird. Aber selbst 2013 dauerten sie 90 Tage, und da stand das einzig mögliche Ergebnis von vornherein fest.“
Frei von Pointen und Emotionen
Von der Qualität der ganzen Debatte enttäuscht ist Die Welt:
„Was für eine vertane Chance, was für ein hageres Sprachpüree, weitgehend pointenfrei und ohne große Emotion. Angela Merkel hat dieses am Ende ziemlich glanzlose Duell gewonnen, und Martin Schulz hat es nach einem ziemlich beeindruckenden Anfang verloren … So richtig begeistern konnte keiner. Es war eine unsinnliche, uncharmante, unelegante Form der Vermittlung. Hoffentlich hat das keine jungen Wähler verschreckt, die gerade anfangen, sich für Politik zu interessieren. Aber Merkel darf für sich in Anspruch nehmen, dass sie lieber regiert als wahlkämpft. Schulz ist nur Wahlkämpfer. Deswegen ist es zu wenig, was er geboten hat.“
Uninspiriert, aber solide
Dass die Debatte öde war, sieht De Tijd nicht unbedingt als Nachteil:
„Wenn die beiden Chefs von Koalitionsparteien über vier Jahre gemeinsame Politik diskutieren, kann man kein Zündfeuer erwarten. ... Merkel wird es wohl wieder schaffen, aber wenn die FDP nicht stark genug ist, dann wird sie unvermeidlich erneut auf Schulz und die Sozialdemokraten treffen. Und anders als beim TV-Duell wird das eine schwierige Debatte werden. Im Mehrparteiensystem wird es immer schwieriger, politische Kompromisse zu schließen. Deutschland hat den großen Vorteil der tödlich langweiligen Mäßigung mit wenig extremen Kräften, die die Debatte bestimmen. Das erscheint einschläfernd, ergibt aber am Ende eine stabile Regierung.“
Rechts und links sind in Deutschland vertauscht
Die konservative Kanzlerin hat sich als Verteidigerin der Menschenrechte profilieren können, findet Protagon:
„Der Kandidat der Sozialdemokraten hat die Karte des 'harten Kerls' gespielt, was die Flüchtlinge angeht, und forderte eine europäische Gesetzgebung, während die Kanzlerin als Verfechterin der Menschenrechte erschien. … Die Kanzlerin wirkte viel selbstbewusster, proeuropäischer und nach den Standards der politischen Kommunikation vielleicht weiter links als ihr sozialdemokratischer Konkurrent. Auf die Frage der Zusammenführung von Flüchtlingsfamilien antwortete Schulz, dass 'jeder Fall getrennt betrachtet werden sollte', während Merkel auf die Genfer Flüchtlingskonvention verwies. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie sehr wir die Deutschen missverstanden haben, indem wir sie nach unseren Stereotypen in rechts und links einteilen.“