Verfassungsgericht fordert drittes Geschlecht
Deutschland muss künftig den Eintrag eines dritten Geschlechts im Geburtenregister zulassen. Das beschloss das Bundesverfassungsgericht und begründete dies damit, dass die Geschlechtsidentität ein zentraler Aspekt der eigenen Persönlichkeit sei. Man könne von Menschen nicht verlangen, sich in die Kategorien weiblich oder männlich einzuordnen. Was für einige Medien eine historische Entscheidung darstellt, erzeugt für andere einen riesigen bürokratischen Aufwand.
Urteil ist logisch und konsequent
Für tagesschau.de ist der Beschluss von historischer Dimension:
„Denn er beendet in Deutschland beim Geschlecht die klassische Einteilung in männlich und weiblich. ... Intersexuelle lassen sich nun mal genetisch beziehungsweise körperlich nicht eindeutig zum männlichen oder weiblichen Geschlecht zuordnen. Sie empfinden sich deshalb auch nicht als männlich oder weiblich. … Weil die Persönlichkeit des Menschen von so großer Bedeutung ist, ist sie als eigenständiges Grundrecht vom Grundgesetz geschützt. Diesen Grundrechtsschutz darf man Intersexuellen aber nicht verwehren, nur weil sie sich in der Minderheit befinden oder wir uns mit ihnen schwer tun. Dann ist es allerdings logisch und konsequent, dass wir alle ihnen ein eigenes, drittes Geschlecht zubilligen.“
Intersexuelle endlich frei
Als historisch bezeichnet die Berlin-Korrespondentin Tonia Mastrobuoni das Urteil in La Repubblica:
„Ob die amtliche Bezeichnung nun 'inter' oder 'divers' lautet, haben die Richter nicht festgelegt. Der Name wird dann im Gesetz stehen, das von Regierung und Parlament im Jahr 2018 verabschiedet werden soll. Wer 2013 [mit einer Gesetzesänderung] das Recht erobert hatte, nicht als männlich oder weiblich registriert zu werden, kann nun einem dritten Geschlecht angehören. Intersexuelle Personen werden nicht mehr nur ein Datenfeld ohne Kreuz sein. Seit jeher wurden die, die ohne eine eindeutige geschlechtliche Identität auf die Welt kamen - einst bezeichnete man sie verächtlich als Hermaphroditen - zu einer Wahl gezwungen, die Operationen, schmerzhafte Hormontherapien und entwürdigende Ämtergänge nach sich zog. Dank des historischen Urteils sind sie endlich frei, sie selbst zu sein.“
Vorreiter Deutschland
Spanien sollte sich ein Beispiel an Vorreitern wie Deutschland nehmen, fordert El País:
„Die meisten Staaten erlauben die Änderung des Namens und des registrierten Geschlechts, aber viele verlangen dafür nach wie vor eine operative Geschlechtsumwandlung oder eine ausdrückliche richterliche Erlaubnis. In Spanien benötigt man weder Justiz noch Operation, aber dafür ein ärztliches Attest, das eine Störung der Geschlechtsidentität bestätigt. Der nächste Schritt sollte sein, neben männlich und weiblich die Existenz eines weiteren Geschlechts voll und ganz anzuerkennen, so wie es jetzt das Bundesverfassungsgericht tat. Dieser Schritt, den bislang nur einige Staaten wie Indien, Australien, Nepal, Pakistan, Bangladesch und Samoa gegangen sind, ist wichtig, weil er Sicherheit gibt sowie Vorurteilen und Diskriminierungen vorbeugt.“
Gericht verliert Sinn für Proportionen
Die Umsetzung des Beschlusses des Bundesverfassungsgericht wird nur Probleme erzeugen, prognostiziert die Neue Zürcher Zeitung:
„Neben Frau, Mann und inter/divers wird es ... eine unüberschaubare Zahl weiterer Minderheiten geben, die eine eigene Geschlechteridentität pflegen und deren staatliche Anerkennung einklagen könnten. Die Beseitigung einer angeblichen Diskriminierung schafft nur neue Diskriminierungen. Zweitens wischt das Gericht den möglichen Einwand weg, der Staat - und damit die Gemeinschaft der Bürger - könnte ein legitimes Interesse daran haben, den bürokratischen und finanziellen Aufwand zur Regelung seiner Aufgaben nicht aus dem Ruder laufen zu lassen. Ein gewisser Mehraufwand sei hinzunehmen, heisst es lapidar. Hier könnte das Gericht jeden Sinn für Proportionalität verloren haben, bedenkt man die möglichen Folgen des Urteils.“