Tauwetter zwischen Nord- und Südkorea?
Regierungsvertreter aus Seoul und Pjöngjang haben sich Dienstag erstmals seit zwei Jahren getroffen. Südkoreas Präsident Moon Jae-in erklärte sich außerdem zu direkten Gesprächen mit seinem nordkoreanischen Amtskollegen Kim Jong-un bereit. Kommentatoren warnen vor weiteren Zugeständnissen und analysieren die Hintergründe der Annäherung.
Voreilige Entscheidung von Seoul
Die Entscheidung von Südkoreas Präsident Moon Jae-in, Nordkorea entgegenzukommen, hält die Neue Zürcher Zeitung für überhastet:
„Dass Südkorea [über das Atomprogramm] hinwegsieht und geradezu übereifrig Kims ausgestreckte Hand ergriff, ist für einen Nachbarstaat mit einer schwer bewaffneten Grenze und nach mehr als zwei Jahren Funkstille zwar verständlich. Damit hat Moon Jae-in aber gleichzeitig eine riesige Verantwortung auf sich geladen. Er hat als Berater des früheren Präsidenten Kim Dae Jung hautnah miterlebt, wie Nordkorea seine Verhandlungspartner von Washington bis Seoul immer wieder über den Tisch gezogen hat. Gespräche sind besser als keine - doch voreilige Zugeständnisse gab es im Fall von Nordkorea schon zu viele.“
Kim ist von der Geldnot getrieben
Mit neu entdeckter Freundschaft hat die Annäherung von Nordkorea an Südkorea nichts zu tun, analysiert De Telegraaf:
„Alles deutet daraufhin, dass der Norden schlichtweg Kohle braucht. Die Wirtschaftssanktionen haben das Land so sehr geschwächt, dass Pjöngjang nichts anderes übrig bleibt, als nach Hilfe zu fragen. Und das tut die Nation natürlich lieber bei den alten Brüdern in Südkorea als bei den Yankees aus Amerika. Seoul scheint bereit, (finanzielle) Hilfe zu leisten, in der Hoffnung, dass die Beziehungen dann tatsächlich endlich besser werden. Es ist auch ein guter Weg zu versuchen, die USA im Konflikt auf der koreanischen Halbinsel ins Abseits zu stellen.“
China will Spannungen mit USA reduzieren
Die mögliche Rolle Chinas bei den jüngsten Entwicklungen beschreibt der Politologe Witalij Kulyk für die Nachrichtenagentur Unian:
„Es muss berücksichtigt werden, dass Nordkorea global kein eigenständiger Player ist. Ganz offensichtlich hat im vorliegenden Fall der Einfluss Pekings auf Pjöngjang Wirkung gezeigt. Peking will eine Reduzierung der Spannungen und dass seine Beziehungen zu Japan, Südkorea und den USA sich verbessern. Denn Peking und Washington befinden sich in einer neuen Runde ihres Handelskriegs und durch gewisse Schritte aufeinander zu sollen dessen Folgen minimiert werden. Einer dieser Schritte könnten die Gespräche zwischen Seoul und Pjöngjang sein.“
Der Tyrann wird sich bald zurückmelden
Dass nordkoreanische Sportler an den Olympischen Winterspielen in Südkorea teilnehmen werden, ist zu begrüßen, meint Hospodářské noviny, warnt aber vor Naivität gegenüber dem Regime in Pjöngjang:
„Sport kann als Instrument, sogar als Alternative zur Diplomatie dienen. Beide Länder haben da reiche Erfahrungen, wenngleich nicht nur positive. Als Südkorea einst die gemeinsame Ausrichtung der Spiele von Seoul ablehnte, schickte Nordkorea durch eine Bombe an Bord eines südkoreanischen Flugzeugs 115 Menschen in den Tod. ... Kim Jong-un geht es nur darum, sich mit seiner Unberechenbarkeit an der Macht zu halten. Den Sportlern sollten wir applaudieren; aber seien wir sicher - der Tyrann wird sich schon bald wieder zurückmelden.“
Eine Chance für die Diplomatie
Der Gesprächsvorschlag an die nordkoreanische Führung von Südkoreas Präsident Moon könnte das Land endlich wieder zum Akteur machen, meint das Handelsblatt:
„In Korea und Japan sorgen sich die Strategen ohnehin schon, dass Trump mit China über die Köpfe der Alliierten einen Deal aushandelt. Gerade deshalb verdient Moons Balanceakt Anerkennung, trotz Abschreckungspolitik das mehr als zweijährige Schweigen zwischen den Nachbarn zu durchbrechen. Denn damit macht er, was eigentlich selbstverständlich sein sollte: Er versucht, sein Land von einem Spielstein im geopolitischen Schach zu einem Mitspieler zu machen. Und Krieg ist nicht in Südkoreas Interesse, wohl aber, Diplomatie endlich eine Chance zu geben.“
Schlechte Nachricht für atomare Abrüstung
Mit dem Gesprächsangebot gehen die Regierenden in Seoul sehr weit, findet Le Figaro:
„Sie wären sogar bereit, ihre nächsten Militärmanöver mit den amerikanischen Alliierten zu verschieben, so sehr wollen sie der Wiederaufnahme des Dialogs mit dem Norden (der im Mai 2016 unterbrochen wurde) den Weg bereiten. Angesichts der Einstellung seines südkoreanischen Alliierten ist kaum vorstellbar, dass der amerikanische Präsident einen wie auch immer gearteten Präventivkrieg gegen Nordkorea anordnet, um das Land seines neu gewonnenen Atommachtstatusses zu berauben. Das Kräftemessen zwischen Pjöngjang und Washington hat also Nordkorea gewonnen. Eine schlechte Nachricht für die atomare Abrüstung.“
Kim treibt Keil zwischen Südkorea und USA
Die Rechnung geht für Nordkorea auf, folgert Il Sole 24 Ore:
„Die Dialogbereitschaft, die Pjöngjang dem Süden signalisierte, ist ein offenkundiger Versuch der nordkoreanischen Regierung, einen Keil zwischen Seoul und die Vereinigten Staaten zu treiben. ... Dabei bemerken nicht wenige Beobachter, dass es Kim nichts kostet, die Teilnahme Nordkoreas an den Olympischen Spielen zu verkünden. Ein kluger Schachzug, von dem er sich viele Vorteile erhofft, ohne Gegenleistungen zu erbringen. Etwa den, dass das gemeinsame Militärmanöver südkoreanischer und US-amerikanischer Streitkräfte tatsächlich verschoben werden könnte. Kims Geste ist ein Pseudozugeständnis, er selbst bringt nichts ein, sondern macht sich, wie schon so oft in der Vergangenheit, die potentiellen Klüfte zwischen seinen Nachbarn zunutze.“