GroKo: Gut für Deutschland, gut für Europa?
SPD und Union werden wieder über eine GroKo verhandeln. 56 Prozent der SPD-Parteitagsteilnehmer entschieden sich am Sonntag dafür - gegen den Widerstand vieler Genossen, die nicht schon wieder mit den Konservativen unter Merkel regieren wollen. Europas Presse debattiert, ob das ein Grund zum Aufatmen ist.
SPD übernimmt historische Verantwortung
Die SPD bekennt sich zu einem europäischen Deutschland, freut sich der Philosoph und Germanist Angelo Bolaffi in La Repubblica:
„[Ein europäisches Deutschland] wie es sich Thomas Mann in den dunkelsten Stunden des Zweiten Weltkriegs wünschte, als dem alten Kontinent das Schicksal drohte, ein deutsches Europa zu werden. ... Deutschland weiß um seine besondere Verantwortung, damit der Faden der europäischen Erzählung dort wieder zusammengeknüpft werden kann, wo ihn die Wirtschaftskrise und das Phänomen der Masseneinwanderung zerrissen haben. … Das Bewusstsein für Europas Zukunftschancen, die nicht vertan werden dürfen, hat die SPD in einem schmerzhaften und selbstkritischen Prozess dazu bewogen, ihre Ablehnung [gegenüber der GroKo] aufzugeben. Sie hätte die Partei ins Chaos gestürzt, dem Land eine ähnliche Atmosphäre beschert wie zu Weimarer Zeiten, und Europa gelähmt.“
Merkel muss jetzt Zugeständnisse machen
Vor welchem Dilemma die SPD-Delegierten am Sonntag standen, beschreibt La Vanguardia:
„Entweder das Risiko eingehen und beim Mitregieren mittelfristig Stimmen verlieren - oder aber die Koalition ablehnen und Gefahr laufen, bei einer Neuwahl noch mehr Stimmen zu verlieren. ... Die Delegierten entschieden sich für die erste Option. ... Jetzt ist Merkel an der Reihe. Sie muss der SPD ein Ass gönnen, das ist offensichtlich. Schon deshalb, weil der Koalitionsvertrag erst noch in einer Basisbefragung von 440.000 SPD-Mitgliedern bestätigt werden muss, darunter 70.000 Jusos, die das Bündnis ablehnen. Aber egal was passiert: Trotz ihrer inneren Zerrissenheit ist es unwahrscheinlich, dass die Partei zerbricht.“
Zum Glück endet hier der Selbstfindungstrip
Die Entscheidung gegen eine Neuwahl ist eine Entscheidung gegen einen weiteren AfD-Erfolg, analysieren die Salzburger Nachrichten:
„Hätte die SPD am Sonntag auf ihrem Selbstfindungstrip bestanden, sich der Verantwortung entzogen und damit Neuwahlen vom Zaun gebrochen - die Wähler hätten die Partei wohl noch stärker abgestraft als bei der Bundestagswahl im vergangenen September. Erste Reihe fußfrei hätte die SPD dann samt ihrem verblassten Hoffnungsträger Schulz zusehen müssen, wie die AfD, deren Mitglieder regelmäßig mit rassistischen, antisemitischen oder nationalistischen Äußerungen auffallen, noch stärkere Zugewinne verzeichnet hätte. ... Eine solche Fahrlässigkeit kann sich eine Partei, die sich des Mitgestaltens rühmen möchte, nicht erlauben. Daher hat die SPD nun eine Entscheidung getroffen, die dem Land dient. Ihr selbst wohl eher nicht.“
Das Letzte, was das Land braucht
So bekommt Deutschland bestimmt nicht den Wandel, den es so dringend braucht, klagt der konservative britische EU-Abgeordnete Daniel Hannan in The Daily Telegraph:
„Keinem Land tut es gut, wenn ein Großteil seiner Parteien auch die meiste Zeit an der Regierung ist. In Deutschland aber haben sich die beiden großen Parteien in acht der vergangenen zwölf Jahre die Macht geteilt. Und wie zwei erschöpfte Boxer nach acht Runden im Ring haben sie einander nun wieder aufgeholfen. ... Wer eine solche Regierungsform befürwortet, nennt sie 'einvernehmlich', 'moderat' und 'sicher'. Doch dahinter steht nur eines: Die Wiederholung des ständig Gleichen. ... Stabilität ist das Letzte, das Deutschland jetzt braucht.“