Erweiterung auf Balkan: EU drückt aufs Tempo
Die EU will den Beitritt der Westbalkanstaaten vorantreiben. 2025 könnten Serbien und Montenegro EU-Mitglied werden. Auch Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Albanien und Kosovo bekommen eine klare Beitrittsperspektive. Gleichzeitig unterstrich Juncker, dass die Länder noch lange nicht die Beitrittskriterien erfüllten. Kommentatoren skizzieren, welche Aufgaben vor einem Beitritt zu erledigen sind.
Infrastruktur fördert Integration
Die Länder des Westbalkans müssen wieder lernen, miteinander zu kommunizieren, wenn sie der EU beitreten wollen, meint Standart:
„Der Aufbau von Kommunikationswegen sowohl innerhalb des Westbalkans als auch zwischen dem Westbalkan und dem Rest Europas ist eine wichtige Voraussetzung für die EU-Integration. Schon das Fehlen von Direktflügen zwischen den Ländern in der Region spricht Bände. Im Moment treffen sich die Teilnehmer regionaler Foren auf dem Westbalkan zuerst auf dem Wiener Flughafen, um dann gemeinsam in eine der Hauptstädte zu fliegen. Es ist wichtig, ein Kommunikations-Netzwerk aufzubauen, welches das Zusammentreffen der Menschen in der Region ermöglicht, nicht nur, was den Transport angeht, sondern auch in den Bereichen Telekommunikation, Energie, Bildung und Digitalisierung.“
Der EU bleibt nichts anderes übrig
Überaus skeptisch betrachtet Delo die Pläne der EU:
„Man muss bedenken, dass Serbien sich noch immer im 'Krieg' mit dem Kosovo befindet, Montenegro von Korruption durchsetzt ist und Mazedonien mit Griechenland und der albanischen Minderheit im Konflikt steht. Es ist also eine unlösbare Mission. Vom auseinandergefallenen Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo ganz zu schweigen. Sollte sich die EU entscheiden, diese Länder, die nur halb demokratisiert sind, beitreten zu lassen, wäre das eine Katastrophe für die EU. Orbán, die Višegrád-Staaten und die anderen europäischen Populisten würden sich sicher über diese Gesellschaft freuen. Und doch hat die EU, obwohl sie wieder schrecklich spät reagiert, keine große Wahl. Ein demokratischer, friedlicher und europäischer Balkan war schon immer äußerst wichtig für den Frieden und die Demokratie in Europa.“
Mitgliedschaft von Mazedonien? Das kann dauern
Die Mazedonier sollten sich keine Hoffnungen auf einen baldigen EU-Beitritt machen, warnt die mazedonische Tageszeitung Kurir und beschuldigt Premier Zoran Zaew, den Bürgern Sand in die Augen zu streuen:
„Die EU erwartet Wirtschaftswachstum. Mit was für einem Wirtschaftswachstum können Sie denn aufwarten? Mit den anderthalb Milliarden Euro Neuschulden, die Sie in nur sieben Monaten an der Macht gemacht haben? Mit dem Erhöhen der Steuerlast für die Bürger? Mit den jede Woche steigenden Benzinpreisen? … Mit null Euro ausländischen Direktinvestitionen? ... Hören Sie auf, den Leuten etwas vorzugaukeln und sagen Sie ihnen, dass wir mit Glück auf einen EU-Beitritt im Jahr 2030 oder später hoffen können und dass Sie noch nichts von dem erfüllt haben, was die EU von uns erwartet.“
Union muss fit für die Erweiterung werden
Der den Balkanstaaten in Aussicht gestellt Beitritt zwingt die EU, sich eine neue Struktur zu geben, mahnt Avvenire:
„Wird der Arbeiter aus Montenegro genauso viel Angst machen wie einst der polnische Klempner? Wohl kaum. Die EU, die nun zum Balkan schaut und prinzipiell bereit ist, zu 33 Mitgliedstaaten anzuwachsen, droht weniger mit neuen Wellen von Arbeitskräften, die die Personenfreizügigkeit der EU genießen, konfrontiert zu werden, als vielmehr mit einem institutionellen Gigantismus, der schwer zu handhaben ist. … Deshalb müssen Berlin, Paris und Rom die Initiative ergreifen und an einer neuen Struktur arbeiten, die den Grundgedanken der so oft heraufbeschworenen EU der zwei Geschwindigkeiten aufgreift.“
Zur Not auch ohne die nötige Reife
Die Welt hält es durchaus für möglich, dass die Westbalkan-Staaten auch ohne die nötige Beitrittsreife zu EU-Mitgliedern werden:
„Die Kräfteverhältnisse sind jedenfalls nicht so, dass Brüssel alleine entscheidet und die Länder so lange zappeln müssen, bis sie dem strengen Urteil über die notwendigen Anpassungen an EU-Rechtsstandards entsprechen. Der Westbalkan ist vielmehr geostrategisch und wirtschaftlich eine attraktive Region. Russland, die Türkei, China, Saudi-Arabien und Katar versuchen seit einigen Jahren, ihren Einfluss dort auszuweiten. Die Europäer befinden sich im Wettlauf mit diesen Staaten. Für viele Serben ist Russland das gelobte Land, im Kosovo macht sich die Türkei breit, China baut wichtige Autobahnen. Letztlich geht es für die Europäer darum, ihren Einfluss möglichst schnell zu sichern - notfalls auch durch überhastete Beitritte.“
Taugt Mazedonien als Beispiel?
Bei ihrer Suche nach der richtigen Erweiterungsstrategie für den Balkan kann die EU zumindest auf eine relative Erfolgsgeschichte zurückgreifen, lässt Der Standard wissen:
„Es gibt ... einen interessanten Ansatz, der allerdings erst zu einer Strategie ausformuliert werden müsste. Die einzige erfolgreiche Intervention der EU - gemeinsam mit den USA - auf dem Balkan findet seit 2015 in Mazedonien statt. Dorthin wurden Experten gesandt, um die Unterwanderung des Staates durch die damalige Regierungspartei zu untersuchen. Wird Mazedonien wirklich zum Modell und wagt es die EU, die Sicherheitsstrukturen und die Justiz in allen Staaten auseinanderzunehmen, würden vielleicht weniger Leute auswandern wollen. Klar ist aber: Dies würde viel mehr Engagement brauchen und lange dauern.“
Das ist noch keine echte Strategie!
Die EU-Strategie zum Beitritt der Westbalkanstaaten ist noch viel zu vage, beschwert sich Jutarnji list:
„Um mehr politischen Einfluss [in der Region] zu haben, muss die EU auch mehr politische Entschlossenheit beweisen. Wenn Worte Gewicht haben sollen, dürfen sie nicht unklar und unstimmig sein. Über den Westbalkan herrscht in der EU keine Einigkeit, zumindest abgesehen von den Floskeln, dass man die dauerhafte Stabilität stärken und eine europäische Perspektive in der Region entwickeln müsse. Für mehr Einfluss und Erfolg braucht es eine klare Haltung und mehr politischen Mut, nicht bloßes Handeln auf Basis des kleinsten Nenners.“
Nicht auf Scheinreformen hereinfallen
Die Länder des Westbalkans sind noch meilenweit von europäischen Standards entfernt, kritisiert das Handelsblatt die Nennung eines konkreten Beitrittsdatums:
„Wohin eine zu frühe EU-Mitgliedschaft führen kann, demonstrieren Rumänien und Bulgarien auf traurige Weise. Die bereits 2007 aufgenommenen Staaten waren nicht vorbereitet. Das rächt sich bis heute. … Europa muss aus den negativen Erfahrungen in Südosteuropa lernen. Bei der Erweiterung auf dem Balkan geht Qualität vor Geschwindigkeit. Europa darf nicht abermals auf Scheinreformen von Demokratiedarstellern hereinfallen. … Das Benennen einer konkreten Jahreszahl für eine EU-Mitgliedschaft stellt nichts anderes als eine politische Fahrlässigkeit dar, die Europa sehr teuer zu stehen kommen kann.“
Wachstumsfaktor statt Sicherheitsrisiko
Rumänien muss bei der EU-Erweiterung auf dem Balkan eine aktive Rolle übernehmen, empfiehlt Politikanalyst Mihai Sebe auf dem Blogportal von Adevărul:
„Lange wurde der Balkan mit politischer und wirtschaftlicher Instabilität gleichgesetzt und als Region gesehen, die 'mehr Geschichte produziert, als sie konsumieren kann' (Winston Churchill) und Rumänien versuchte, sich auf symbolischer Ebene vom Balkan zu lösen. Doch nun ist für uns der Moment gekommen, in eine Region zurückzukehren, die wir in Wirklichkeit nie verlassen haben. Rumänien kann sich als Verfechter der europäischen Integration der Westbalkanstaaten verdient machen. ... Ein Balkan, der in die EU integriert ist, ist eine sichere, stabile und demokratische Region, in der klare Regeln respektiert werden und die kein Sicherheitsrisiko mehr darstellt, sondern einen Wachstumsfaktor.“
Überheblichkeit ist fehl am Platz
Die EU ist derzeit nicht in der Position, weitgehende Forderungen an die Beitrittskandidaten zu stellen, findet Dnevnik:
„Die EU fordert von den künftigen Mitgliedern, alle ungelösten Fragen zu beseitigen, bevor sie über die Schwelle des europäischen Hauses treten. Das ist verständlich. Wer will sich schon mit neuen Familienmitgliedern neue Probleme aufhalsen. Doch ist das etwas egoistisch und heuchlerisch. Die EU ist derzeit für die kommenden Mitglieder wahrlich kein Vorbild in Sachen innerer und äußerer Einheit. Die künftigen Mitglieder würden, wenn sie es könnten, ihre zahlreichen inneren und äußeren Probleme gern selbst lösen. Doch weil das nicht geht, brauchen sie Hilfe. Einige Dinge werden erst durch eine Mitgliedschaft und nicht nur durch das Versprechen einer EU-Mitgliedschaft zu lösen sein.“