Wer vergiftete den russischen Ex-Spion Skripal?
Die britische Polizei geht davon aus, dass der russische Ex-Doppelagent Sergej Skripal und seine Tochter Opfer eines Nervengift-Anschlags geworden sind. Unter Verdacht steht die russische Regierung, auch weil der Fall an den Tod des Agenten Alexander Litwinenko im Jahr 2006 erinnert. Einige Journalisten glauben ebenfalls, dass Russland hinter dem Anschlag steckt. Doch gibt es auch Gegenstimmen.
Neuer Stoff für Stress zwischen Ost und West
Der Vorfall wird zu neuen Spannungen zwischen London und Moskau führen, glaubt Investigativjournalist Oleg Kashin in Republic:
„Ein Spion aus den 1990er Jahren, der in den 2000er Jahren aufflog, wird Ende der 2010er Jahre zum Anschlagsopfer. Also in einer ganz anderen Epoche, in der jede konfliktträchtige Nachricht über das Verhältnis Russlands zum Westen wie ein Teil eines riesigen Drehbuchs wirkt. Ein Drehbuch, in dem russische Hacker, Doping, Raketen in Putin-Reden und andere Dinge vorkommen, die man sich zur Zeit von Skripals Spionage-Aktivitäten nicht vorstellen konnte. Im Vergleich zu damals erscheint alles höchst hypertrophiert: Der Westen ist heute aus vielen Gründen von der Bösartigkeit und Hinterhältigkeit Russlands überzeugt. Und Russland hat genauso viele Gründe, sich der Voreingenommenheit und mangelnden Objektivität des Westens sicher zu sein.“
Diesmal muss London härter reagieren
Dass erneut ein Giftanschlag auf britischem Boden möglich war, hat auch mit dem Fall Litwinenko im Jahr 2006 zu tun, meint The Times:
„Wenn sich die Vorwürfe [gegen den Kreml] bewahrheiten, könnten die Auswirkungen kaum gravierender sein. Denn damit wäre klar, dass die Reaktion der britischen Regierung auf den letzten Mord dieser Art ungenügend war, so wie das die Witwe Alexander Litwinenkos stets behauptet hat. Russland wäre demnach damals keineswegs abgeschreckt, sondern vielmehr ermutigt worden. Auf den aktuellen Fall müsste entsprechend eine viel entschiedenere Reaktion folgen - inklusive Strafsanktionen gegen alle jene, die für die Tat verantwortlich gemacht werden können.“
Vorwürfe gegen Moskau sind unsinnig
The Independent glaubt jedoch nicht, dass der Kreml hier seine Finger im Spiel hatte:
„Beim Austausch von Spionen hat bisher eine Art Ehrenkodex gegolten. Jene, die ausgetauscht wurden, gingen in die Verantwortlichkeit der Länder über, für die sie spioniert hatten. Sie wurden von den Ländern, die sie betrogen hatten, in Ruhe gelassen. Würden die Augetauschten für vogelfrei erklärt werden und müssten mit irgendeiner Form staatlicher Vergeltung rechnen, wäre diese Praxis am Ende. Deshalb - und auch weil der Austausch in diesem Fall so lange her ist und seine Kinder frei reisen konnten -, ist es so unwahrscheinlich, dass der russische Staat Skripal als Ziel auswählte.“
Russland macht, was es will
Die klaren Regeln des Gefangenenaustausches sind offensichtlich außer Kraft gesetzt, kritisiert Eesti Päevaleht:
„Bei Skripal geht es nicht nur um einen der Doppelagenten, die für Moskau immer als legitime Ziele galten, sondern um einen ausgetauschten Doppelagenten. Er war einer der acht westlichen Agenten, die 2010 gegen Anna Chapman und weitere zehn russische Agenten ausgetauscht wurden. Zu einem solchen Austausch gehört auch die wechselseitige Begnadigung. ... Der Fall bedeutet nicht nur, dass Moskau den Westen weiterhin auslacht und auf dessen Boden mit Verrätern tut, was es will. Die Botschaft ist auch, dass eine Begnadigung durch den russischen Präsidenten offenbar keine Sicherheit gewährt.“