Ende der Ära Castro in Kuba
In Kuba hat das Parlament den bisherigen Vizepräsidenten, Miguel Díaz-Canel, zum Nachfolger von Raúl Castro gewählt, der am Donnerstag 86-jährig aus dem Amt geschieden war. Dieser hatte 2006 die Regierungsgeschäfte von seinem erkrankten und 2016 verstorbenen älteren Bruder Fidel Castro übernommen. Welche Chancen birgt der Führungswechsel für das Land?
Kuba braucht Kontinuität
Eine völlige Abkehr von der Castro-Ära wäre für die Kubaner katastrophal, glaubt die linke Tageszeitung Pravda:
„Der neue Präsident Miguel Díaz-Canel hat betont, dass für das Land Kontinuität wichtig sei und dass es keine Brüche brauche. Das mag provokativ klingen, aber es ist richtig. Mit dem Sturz der Reste des Sozialismus würde das Land in völligem Elend versinken. Das rigide System sowjetischen Typs verändert sich schon seit der Mitte der 1990er Jahre. Wer das nicht sieht, begeht einen Fehler. Díaz-Canel ist Teil dieser Entwicklung. Er gehört zu denen, die sozialistische Prinzipien in wichtigen Bereichen wie Gesundheit und Bildung retten wollen und Wert auf persönliche Freiheiten legen. Eine radikale Wende würde zu einer Katastrophe führen.“
Demokratisierung des Landes ist möglich
Die Ablösung von Staatschef Raúl Castro ermöglicht neue Perspektiven für Kuba, glaubt Francisco André, Mitglied des Vorstandes der Sozialistischen Partei Portugals, in Público:
„Auch wenn der Wechsel nicht im Rahmen einer Mehrparteiendemokratie geschieht, hat dieser Wandel eine positive Dimension und ermöglicht neue Perspektiven für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung Kubas und kann möglicherweise auch eine Reform des politischen Systems einleiten. ... Die letzte Phase dieses Erneuerungsprozesses, die im Rücktritt von Raúl Castro gipfelte, sollte nicht nur als Chance für die soziale, wirtschaftliche und politische Entwicklung Kubas betrachtet werden, sondern auch für die Schaffung einer demokratischen Rechtsordnung, die auf der Förderung von Rechtsstaatlichkeit und Freiheiten für die Bürger beruht.“
Der kubanische Tyrannosaurus Rex
Für den kubanischen Kommunismus hat die letzte Stunde geschlagen, glaubt Die Presse:
„Nur eine Minderheit der Kubaner [profitiert] von der neuen ökonomischen Freiheit. ... Der Rest, desillusioniert und mit der Organisation des Alltags beschäftigt, schlägt sich mehr oder weniger mittellos durchs Leben. Dies hat eine krasse Zweiklassengesellschaft herausgebildet, in der sich Akademiker als Taxifahrer, Touristenguides oder Zuhälter verdingen, in der sich Glücksritter und Goldsucher auf irgendeine Art prostituieren. Es ist die zynische Endphase eines tropischen Sozialismus, in dem Palmen die Misere beschönigen. Irgendwann wird er krachend einstürzen. Längst hat der Kommunismus kubanischer Prägung seine Bankrotterklärung abgegeben, und er versucht, wie ein Dinosaurier sich über die Zeit zu retten. So gesehen ist Raúl Castro der Letzte seiner Art, ein Tyrannosaurus Rex.“
Staatsführung fürchtet neue Freiheit
Dass der politische Kurs der Machthaber in Kuba voller Widersprüche steckt, findet die Lateinamerika-Korrespondentin Marjolein van de Water in De Volkskrant:
„Die kubanischen Machthaber suchen nach einem neuen Gleichgewicht. Denn einerseits ist es für die Wirtschaft notwendig, die Insel für den Markt zu öffnen. Andererseits fürchten die Parteiführer die Emanzipation, zu der das führen wird, wie die Pest. ... Eine unabhängigere Bevölkerung ist mündiger und schwieriger zu kontrollieren. Also treten die Parteifossilien auf die Bremse, wenn es zu schnell geht. ... Trotz aller Reformen bleibt Kuba ein totalitärer Staat mit einer erstickenden sozialen Kontrolle. ... Der neue Präsident steht vor der Aufgabe, die Reformen fortzusetzen, vorläufig mit den stechenden Augen von Raúl in seinem Nacken.“