Welche Lehren zieht Deutschland aus NSU-Prozess?
Die Hauptangeklagte im NSU-Prozess, Beate Zschäpe, ist wegen Mittäterschaft unter anderem an zehn Morden zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Die vier weiteren Angeklagten müssen zwischen zweieinhalb und zehn Jahre ins Gefängnis. Kommentatoren konstatieren eine rechtsextreme Grundströmung in Deutschland und fordern ein Umdenken mit Blick auf den Islam.
Rechtsextremismus blüht weiter
Der Terror des NSU ist nur die Spitze des rechtsextremen Eisbergs in Deutschland, bedauert der Tages-Anzeiger:
„Von der angeblichen 'Invasion' der Flüchtlinge angestachelt, treten Neonazis heute hemmungsloser auf als jemals zuvor. In sozialen Netzwerken wird ohne jede Scheu gegen 'Ausländer' oder 'Türken' gehetzt. ... Der Fremdenhass hat sich längst in die Mitte der bürgerlichen Gesellschaft ausgebreitet und dort festgekrallt. Selbst neue Terrorzellen sind entstanden. Zuletzt wurde in Sachsen die 'Gruppe Freital' verurteilt, deren Brandanschläge gegen Flüchtlingsheime nur durch Zufall keine Menschen töteten. Die Öffentlichkeit, nicht nur in Deutschland, nimmt davon erstaunlich wenig Notiz. Alle starren auf den islamistischen Terror und vergessen, dass Gewalt von Rechtsextremen seit 1990 allein in Deutschland mehr als 200 Menschen das Leben gekostet hat.“
Das Land ringt mit seiner dunklen Seite
Der Prozess hat eine unangenehme Wahrheit ans Licht gebracht, kommentiert De Volkskrant:
„Im NSU-Prozess geht es auch um die Geschichte eines Landes, das gut 70 Jahre nach seiner Auferstehung aus den Ruinen des Dritten Reiches mit der Tatsache ringt, dass es offenbar eine deutliche rechtsextreme Grundströmung in der Gesellschaft gibt. Die Verbrechensstatistiken beweisen, dass diese Strömung in den vergangenen Jahren deutlich stärker geworden ist. Die Angehörigen [der NSU-Opfer] und ihre Anwälte sind der Ansicht, dass Polizei, Justiz und Geheimdienste wegschauen. Oppositionsparteien wie die Grünen und die Linke schließen sich dieser Beurteilung an. Mit Blick auf die milden Urteile für die Helfer des NSU-Trios sehen sie sich zusätzlich bestätigt.“
Muslime gehören zu Deutschland
Dass der Prozess ein Umdenken bewirkt, hofft die Süddeutsche Zeitung:
„Mit dem NSU-Urteil endet ein Verfahren, das bei der Polizei mit einem Unwort begann. Es hieß da 'Döner-Morde'. Das war die vermeintlich griffige Kurzbezeichnung für die Verbrechen. Es ist ein Wort, in dem sich Geringschätzung spiegelt, weil es davon ausgeht, dass Türken von Türken umgebracht werden. In diesem Wort wird alltäglicher Rassismus greifbar. ... Das Bewusstsein, dass 'die nicht zu uns gehören', ist virulent - auch in der Politik, in Ministerien. Um Rechtsextremismus zu bekämpfen, braucht man daher nicht nur neue Verbote, wie sie soeben der Bundesinnenminister gegen die 'Osmanen Germania' verhängt hat. Sondern man braucht auch ein neues Denken - eines, das anerkennt, dass die Muslime zu Deutschland gehören.“
Terror von links nicht vergessen
Deutschland bekämpft rechten Terror aus einem Gefühl des schlechten Gewissens heraus, glaubt Jyllands-Posten:
„Das ist sympathisch, wenngleich bisweilen etwas übertrieben. Der Nachteil ist, dass damit die Bekämpfung von Kriminalität, die ausländische Wurzeln hat, verzögert wird. So hat Deutschland gerade erst die Osmanen Germania verboten, eine Bande, die im Menschen- und Drogenhandel aktiv ist. Bestünde sie nicht vorwiegend aus Türken, die gute Verbindungen zum Erdoğan-Regime pflegen, wäre man vielleicht früher eingeschritten. Auch ist die Verärgerung größer, wenn die Gewalt von Rechtsextremisten und nicht von Linksextremisten ausgeübt wird. Für Linksextremisten gibt es ein klein wenig Verständnis, für Rechtsextreme nicht. Erst wenn das ins Gleichgewicht kommt, ist Deutschland aus dem Schatten seiner Vergangenheit getreten.“