Skripal-Ermittlungen: Moskau wiegelt ab
Vor einer Woche hat die britische Polizei im Fall Skripal Fotos und Namen von zwei Verdächtigen veröffentlicht. Nun ließ Putin die Welt wissen, die Männer seien selbstverständlich gefunden worden. Sie seien keine Agenten und hätten nichts Kriminelles getan. Alles Weitere sollten sie selbst der Öffentlichkeit mitteilen. Für russische oppositionelle Medien erhärtet diese Reaktion nur den Verdacht.
Lügenmärchen erzählt man nicht aus dem Stegreif
Russland reagiert verdächtig langsam, findet Anton Orech von Echo Moskwy:
„Petrow [einer der Verdächtigen hat ein Statement angekündigt] wird sprechen und die Medien werden sagen, dass Petrow die Wahrheit sagt. Dann kommt die Kür: Man darf dann behaupten, Großbritannien habe mit der Vergiftung eine Provokation begangen, um die Fußball-WM zu sprengen, die Wahl von Putin oder [dem Moskauer Bürgermeister] Sobjanin zu vereiteln oder unbemerkt ein Loch in die ISS zu bohren. Doch auch Petrow spricht nicht umgehend, sondern bereitet sich noch einige Zeit vor, kurzum: Er schindet Zeit. Mir scheint, wenn jemand unbeteiligt ist, muss er sich nicht vorbereiten. Stell dich hin und sag, wie es war. Aber wenn du Dreck am Stecken hast, brauchst du natürlich Zeit.“
Putin legt den Fall zu den Akten
Auch Wedomosti sieht in den Verlautbarungen Moskaus ein Verschleierungsmanöver:
„Die Antwort des Präsidenten schließt für Moskau faktisch die Debatte über die Spur, die nach Russland führt. ... Bislang gingen alle Erklärungen von russischen Amtspersonen in die Richtung, dass ihnen über den Fall Skripal einfach nichts bekannt wäre. ... Nach Putins Aussage wird sich kaum noch eine wichtige Person trauen, das Thema voranzutreiben. Es bleibt nur noch das Interesse der kleinen Leute übrig - und bitteschön, diesem Publikum können Petrow und Boschirow laut Putin alles selbst erzählen. Wenn sie denn wollen, denn sie sind ja freie Leute - und vor allem Zivilisten.“
Natürlich steckt der Kreml dahinter
Wer den Anschlag auf Skripal und seine Tochter zu verantworten hat, ist doch völlig klar, meint Kolumnist Andrij Plachonin in Den:
„Das Vetorecht im Uno-Sicherheitsrat, wie auch der Atomschirm, dienen dem Kreml als hundertprozentige Garantie für Straflosigkeit. ... Folglich wird es weitere Verbrechen geben ... Es geht nicht um die beiden konkreten Ausführenden. Es geht um die, die ihnen diesen Mord befohlen haben. Es geht um diejenigen, die bis zuletzt fürchteten, direkt im Anklagedokument genannt zu werden, das Theresa May am Mittwoch im britischen Parlament verlesen hat. ... Vielleicht werden wir die wahren Namen der Killer auf den am Mittwoch veröffentlichten Fotos niemals erfahren. Und dennoch kennen vom ersten Tag an alle ausnahmslos den Namen des Auftraggebers.“
Skepsis nach wie vor angebracht
Nicht restlos überzeugt von den neuen Anschuldigungen Londons gegenüber Moskau ist die linke Tageszeitung Právo:
„Ausreichende Beweise sehen anders aus. Dennoch sind die jetzt vorgelegten weit konkreter, als zuvor. Vor allem bieten sie eine Version des Vorgangs, die realistisch erscheint. Aber Aufnahmen von Kameras reichen nicht aus. Die kann man manipulieren und fälschen. ... Die Briten geben Russland, genauer gesagt Präsident Putin, die Schuld. Für eine solche Anschuldigung fehlt aber bis heute eine grundsätzliche Sache: ein verständliches, überzeugendes Motiv für das Attentat auf den Ex-Agenten und seine Tochter.“
Präsentiert die beiden 'unschuldigen Reisenden'!
Nun wäre es eigentlich angebracht, dass Russland gegen die beiden Tatverdächtigen ermittelt, bemerkt sarkastisch Journalist Andrej Malgin in einem von newsru.com übernommenen Facebook-Beitrag:
„Ist das etwa nicht genug, damit die russischen Behörden umgehend diese Leute finden und befragen? Ihr seid doch 'nicht beteiligt', also macht das! ... Aber nein, das macht man natürlich nicht, sondern man säuselt irgendetwas von fehlenden Beweisen und einer antirussischen Verschwörung. ... Erzählt uns lieber etwas über diese Leute, die mit bestimmten Reisepässen (übrigens mit fortlaufenden Nummern und am selben Tag ausgestellt) mit einem bestimmten Flug in Moskau-Scheremetjewo landeten. ... Genau wie auf diesen Fotos sehen die Geheimdienstler aus, die auf Protestveranstaltungen herumspazieren. Sie meinen, sie würden mit der Umgebung verschmelzen, dabei stechen sie hervor.“
Jetzt sprechen die Fakten
Die langwierigen strafrechtlichen Ermittlungen haben sich ausgezahlt, kommentiert die Süddeutsche Zeitung:
„Die Belege reichen aus, um einen Prozess mit guten Erfolgsaussichten zu eröffnen. Dazu wird es wohl nie kommen. Russland ist an einer Verurteilung nicht gelegen, es wird wohl keine Auslieferung geben. Umso wichtiger die beiden Botschaften, die von dem kühl servierten Ermittlungsergebnis ausgehen. Erstens ist die Zeit der Ausflüchte und Irreführerei vorbei; Russland kann es nicht dabei belassen, seine Verwicklung in das Verbrechen nur zu bestreiten. Das Halbwelt-Image haftet dem Putin-System an wie Harz. Und zweitens sollte niemand die Kraft des Rechtsstaates unterschätzen. Wenn ein unabhängiger Ermittler in aller Transparenz eine Beweiskette vorlegt wie jetzt im Fall Skripal, dann verpufft das politische Getöse und es sprechen die Fakten.“
Moskaus Killer hatten es zu leicht
Großbritannien muss sich stärker gegen die Tätigkeiten des russischen Geheimdienstes auf seinem Boden schützen, fordert The Daily Telegraph:
„Es ist offensichtlich, dass Russland unsere Grenzen, unser Visa-System und unsere Wirtschaft, die alle relativ offen sind, ausgenutzt hat, um unsere Bürger anzugreifen und seine Macht zu zementieren. Wir sollten genau prüfen, ob diese Rechte und Privilegien nicht beschränkt werden sollten. Es ist überdies klar, dass die Mörder nicht erkannt wurden, als sie ins Land kamen. Über welche Systeme verfügen wir derzeit, oder welche Systeme sollten wir einführen, um zu verhindern, dass so etwas in Zukunft erneut passiert? Außerdem stellt sich die Frage, ob wird entschieden genug gegen die Desinformationskampagnen des Kreml vorgehen.“
Bis bald in der Duma
Anton Orech von Echo Moskwy kann sich vorstellen, dass die beiden tatverdächtigen russischen Agenten, Alexander Petrow und Ruslan Boschirow, alsbald Karriere als Duma-Abgeordnete machen werden - so wie Andrej Lugowoi, der von London beschuldigt wird, 2006 den Polonium-Mord an dem Ex-Agenten Alexander Litwinenko begangen zu haben:
„Für unsere Propaganda ist die Belebung des Falles Skripal ein Geschenk. Das Menü gehört erneuert, alles Pulver ist verschossen. Zu guter Letzt werden Petrow und Boschirow jeder russischen Hausfrau bekannt sein und dann stehen auch schon Duma-Wahlen an. Ich bin mir sicher, in der [rechtsextremen] Schirinowski-Partei finden sich zwei freie Plätze und dann haben wir mit Lugowoi eine ganze Troika beisammen. ... Nur im Unterschied zu Lugowoi gehören sie nicht in den Sicherheitsausschuss, sondern in den Gesundheitsausschuss.“