Sollten Esten mit zwei Pässen einen abgeben?
In Tallinn hat ein Gericht geurteilt, dass eine Frau sich zwischen ihrem estnischen und ihrem russischen Pass entscheiden muss. Nun fürchten viele Esten, dass ein Präzedenzfall geschaffen wurde, der der bisherigen Praxis ein Ende bereitet. Obwohl die doppelte Staatsbürgerschaft per Gesetz verboten ist, drückten die Behörden hier nämlich bislang ein Auge zu. Betroffene teilen ihre persönlichen Erfahrungen.
Auch späte Liebe braucht ihre Chance
Eesti Päevaleht veröffentlicht einen Facebook-Eintrag von Luukas Ilves, Sohn des ehemaligen estnischen Präsidenten Toomas Hendrik Ilves:
„Hätte ich mich als 18-Jähriger zwischen dem estnischen und dem US-Pass entscheiden müssen, wäre die Abgabe des US-Passes undenkbar gewesen. Denn dies hätte nicht nur bedeutet, dass ich die USA hätte verlassen müssen, wo ich aufgewachsen und gerade in die beste Uni der Welt aufgenommen worden war, sondern auch, das Land aufzugeben, in dessen komplizierte Geschichte meine Familie mütterlicherseits seit drei Jahrhunderten eingebunden war. ... Elf Monate nach meinem 18. Geburtstag wurde mein Vater Präsident Estlands - das wäre die ultimative Ironie des Schicksals gewesen. Als Erwachsener habe ich mich in dieses Land verliebt, in den Mut und die Solidarität des Volkes, das in schweren Zeiten für Werte eingestanden ist, die zählen: Familie, Heimat, Freiheit und Demokratie.“
Estland sollte junge Bürger halten
Airis Meier, Gründerin der Facebook-Gruppe "Das Recht, Este zu bleiben" plädiert in Õhtuleht ebenfalls für die Wahlfreiheit:
„Die doppelte Staatsbürgerschaft bekommen die Leute heutzutage hauptsächlich dann, wenn ihre Eltern verschiedene Pässe haben, genau wie bei meinen Kindern, deren Vater Niederländer ist. ... Das Argument, dass man die doppelte Staatsbürgerschaft behalten will, um Vorteile zu erlangen, stimmt nicht. Staatliche Vorteile sind laut Gesetz immer mit dem Wohnort verbunden, der Pass spielt hier keine Rolle. ... Die Stunden, die Esten im Ausland ihrem Heimatland gewidmet haben, um dessen Kultur zu fördern und ihre Kinder als Esten zu erziehen, sind unzählbar. Der Staat hat für diese Kinder keinen Cent ausgegeben. Wenn diese Kinder nun aber die Staatsbürgerschaft verlieren, verliert der Staat junge Bürger.“