Was bleibt fünf Jahre nach dem Maidan?
Am 21. November 2013 stoppte die ukrainische Regierung die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU. Die spontanen Proteste dagegen führten im Februar 2014 zum Sturz von Präsident Janukowytsch, zogen die Annexion der Krim durch Russland nach sich und belasten bis heute das Verhältnis zwischen Russland und dem Westen. Eine Retrospektive ukrainischer und russischer Medien.
Aufstand hat keine Verbesserungen gebracht
Der Journalist Jurij Wolodarskyj erinnert sich in Fokus an die Forderungen des Maidan:
„Für Medikamente in den Krankenhäusern, für schmiergeldfreie Gerichte, für Straßen ohne Löcher, gegen käufliche Beamte, gegen Schutzgeld an Polizisten und Staatsanwälte. Oder kurz gesagt: für alles Gute und gegen alles Schlechte. Fünf Jahre nach dem Euromaidan ist die traurige Gewissheit, dass er all diese Ziele nicht erreicht hat. Es hat wohl kaum jemand geglaubt, dass nach der Flucht von Präsident Janukowytsch und der Unterzeichnung des EU-Assoziierungsvertrags sich Manna über uns ergießt. Klar dauert es viele Jahre, bis die Lebensqualität sich spürbar verbessert. Doch es sind bereits fünf vergangen und besser wurde es nicht. Übrigens ist das Traurigste nicht das. Das Traurigste ist, dass unter den derzeitigen innenpolitischen Tendenzen nach wie vor weit und breit keine Verbesserung in Sicht ist.“
Zivilgesellschaft wird am Ende siegen
Die Maidan-Ärztin und jetzige Parlamentsabgeordnete Olha Bohomolez glaubt in ihrem Blog bei Ukrajinska Prawda, dass das letzte Kapitel des Aufstands von 2013 noch nicht geschrieben ist:
„Auf den ersten Blick haben wir alles vermasselt, was man vermasseln konnte: An der Macht sind erneut Oligarchen, die Ukrainer flüchten massenhaft aus dem Land, wohin man schaut Depression und Pessimismus. Doch die Geschichte ist damit nicht zu Ende, die Wehen dauern an. ... Wir werden niemals mehr die sein, die wir bis 2013 waren, und wir können nicht mehr zurückkehren. Die Zivilgesellschaft wird wachsen, sich ausweiten und in dem Moment, in dem die kritische Masse der aktiven, ehrlichen Leute überwiegt und die Oligarchen von der Macht verdrängen kann, werden wir endgültig siegen.“
Krim und Donbass sind keine echten Verluste
Republic glaubt, dass der Verlust der territorialen Integrität des Landes nur vordergründig die schlimmste Folge des Maidans für die Ukraine ist, profitierten davon doch auch manche Akteure:
„Die Radikalisierung der Maidan-Proteste verursachte eine Welle der Angst vor dem ukrainischen Nationalismus in den russischsprachigen Landesteilen, besonders auf der Krim und im Donbass. Und das jahrelange Pokern ukrainischer Politiker mit den Gegensätzen zwischen den Regionen verhinderte die Ausarbeitung eines pannationalen Revolutionsprogramms und erleichterte dem Kreml die Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Ukraine. ... Gleichzeitig nimmt die ukrainische Elite (trotz aller kriegerischer Rhetorik) den Verlust der früher illoyalen Regionen oftmals mit Erleichterung auf, denn ohne die Wähler der Krim und des Donbass bekommen die Pro-Maidan-Politiker leichter eine Parlamentsmehrheit.“
Imitation statt Revolution
Die Tageszeitung Den konstatiert, dass weder der Euromaidan 2013 noch die Orangene Revolution 2004 echten Wandel gebracht haben:
„Alles endet damit, dass zwar Personen ausgetauscht werden, aber das System nicht verändert wird. Diese Zeitung hat immer zu qualitativen Änderungen aufgerufen: vor, während und nach den Revolutionen. Beispielsweise fanden rund um die Ereignisse von vor fünf Jahren in der Redaktion eine Reihe Runder Tische unter Beteiligung von Aktivisten statt, die danach Parlamentsabgeordnete wurden. In diesen Gesprächen ging es darum, dass unbedingt eine wirkliche politische Kraft gegründet werden muss, welche die Interessen des Maidans vertritt und echte Reformen erreicht. Doch das geschah nicht. Es schluckten einfach nur die 'Alten' die 'Neuen'. Im Ergebnis gab es Projekte statt einer Partei, Partikularinteressen statt wirklicher Politik und Imitationen statt Reformen.“
Nur die Leute an der Front leiden
Der Historiker Jurij Toptschij vertritt in KP die These, dass der Großteil der Ukrainer am Status quo nichts auszusetzen hat:
„Schauen Sie der Wahrheit ins Auge: Die heutige Situation stellt alle zufrieden, niemand will Frieden in der Ukraine. Stört der Krieg Sie hier in Kiew, zu arbeiten, zu leben, frei zu diskutieren, sich zu bewegen und Pläne für die Zukunft zu schmieden? Oder ergibt sich im Rest des Landes für irgendjemanden ein anderes Leben? Und was die Leute im Krieg betrifft: Sie leben diesen, das ist für sie der Sinn. Die einzigen in dieser Geschichte, die wirklich unter dem Krieg leiden, das sind diejenigen, die an der Front leben. Doch alle anderen sind in der Komfortzone. Heute steht die Ukraine an einer Weggabelung. Wir meinen, dass wir die ganze Welt vor Russland beschützen - und bis dato will niemand eine andere Wendung der Geschichte.“