Macron ruft zu "Bürgerdialog" auf
Angesichts der anhaltenden Proteste der Gelbwesten hat Macron in einem "Brief an die Franzosen" angekündigt, mit der Bevölkerung ins Gespräch kommen zu wollen. 35 Themen, von Steuern über Demokratie und Umweltschutz bis zur Einwanderung, sollen bis Mitte März in offenen Gesprächsrunden im ganzen Land diskutiert werden. Welche Chancen hat der Versöhnungsversuch?
Selbstmörderische Dialektik überwinden
Macrons Brief schafft die Grundlage für eine Debatte, deren Erfolg er jedoch nicht allein garantieren kann, kommentiert Le Figaro:
„Der Text hat den großen Verdienst, die selbstmörderische Dialektik überwinden zu wollen. Er will versuchen, ein Grundelement der Demokratie wiederherzustellen: den gesellschaftlichen Dialog. ... Er ruft im Vorfeld in Erinnerung - was alles andere als überflüssig ist -, dass Gewalt diesen Austausch automatisch unterbindet. ... Der Präsident hat die Themen sehr weit gefasst und lässt die Menschen frei zu Wort kommen. Auf diese Weise bittet er sie darum, gelassen zu erklären, was sie plagt. Wie im Dorf von Asterix wird es zu Anfeindungen und Ausschreitungen kommen. In Wirklichkeit aber hängt der Ausgang dieser großen Debatte von uns allen ab, insbesondere von unserer Bereitschaft zu verstehen, bevor wir urteilen.“
Volkszorn lässt sich nicht bändigen
Der Standard sieht keine Chance darauf, dass die Debatte gelingt:
„Politisch ist Macron geschwächt. Er hat nur dann eine Chance, wenn er die Anliegen der Gelbwesten ernst nimmt und nicht nur so tut als ob. Enttäuscht er die geweckten Erwartungen, schürt er damit neuen Volkszorn. ... Macron steckt in der Zwickmühle: Was die Gelbwesten verlangen, läuft auf die Einschränkung seiner Befugnisse hinaus. Die Forderung nach 'Bürgerreferenden' steht völlig quer zum französischen Zentralstaat. Die Regierung bemüht sich daher bereits, die brisantesten Sachthemen wie etwa Immigration dem Volksinitiativrecht zu entziehen. Verwässert Macron das Instrument aber weiter, fühlen sich die Gelbwesten nur weiter betrogen. Neue Gewalt stünde der Nation ins Haus. Und Macron würde sich vielleicht bald wünschen, die nationale Debatte nie angesetzt zu haben.“
Präsident und Volk reden aneinander vorbei
Am Freitag hatte der Präsident Bäcker im Elysée empfangen und deren Sinn für Anstrengungen gelobt, der seiner Meinung nach vielen Mitbürgern fehle. Damit könnte er den Konflikt noch weiter angeheizt haben, beobachtet Gazeta Wyborcza:
„Am Tag vor der Protestwelle am Samstag stellte Macron fest, dass viele Franzosen denken, sie könnten verschiedene wichtige Dinge bekommen, ohne sich anzustrengen. Er fügte hinzu, man dürfe nicht vergessen, dass die Bürger neben den Rechten auch Pflichten hätten. Die Hauptpostulate der Gelbwesten bauen auf Forderungen nach einer gerechteren Arbeitsteilung auf, geringere Steuern und Lohnerhöhungen. In den Augen der Demonstranten resultieren sie nicht aus unzureichender Anstrengung, sondern aus einer fehlenden Wertschätzung ihrer Anstrengungen.“