Russland: Warum der Verdruss im Eierkarton steckt
Eine Welle von Witzen, Fotomontagen und Memes schwappt derzeit in Russland durchs Internet, denn ein großer Produzent verkauft statt der gewohnten Packungen mit zehn nun solche mit neun Eiern. Grund für den Unmut der Verbraucher sind wohl auch eine Mehrwertsteuererhöhung und stagnierende Realeinkommen. Russische Kommentatoren nehmen den Eier-Hype auch nicht auf die leichte Schulter.
Es fehlt nicht nur eins von zehn Eiern
Die Geschichte kocht deshalb so hoch, weil sie einen empfindlichen Nerv der sowieso schon strapazierten Bürger trifft, erklärt Soziologin Ella Panejach in Wedomosti:
„[Es geht um] Fragen von Achtung, Gerechtigkeit und Vertrauen. Darum, wer die Folgen der Wirtschaftsprobleme schultert. Und um die Unfähigkeit, selbst bei Kleinigkeiten die Wahrheit zu sagen. Die Mehrwertsteuererhöhung hätte sogar noch stärker durchschlagen können, wäre nicht die offizielle Inflation niedriger ausgefallen als erwartet. Doch auf die Alltagsausgaben des preisbewussten Durchschnitts-Städters hat sich der Preisschub zu Neujahr offenbar deutlich unangenehm ausgewirkt. … In Russland gibt es eine Krise des Vertrauens. Und nicht, weil davon plötzlich ein Stück fehlen würde, sondern weil ganz grundsätzlich keins vorhanden ist.“
Witze sind Symptom dafür, dass es brodelt
Das Witzeln über die Eier sollte dem Kreml ein Warnsignal sein, findet Publizist Jegor Sedow in einem von newsru.com übernommenen Facebook-Post:
„Seit den 1990er Jahren haben die Leute die sehr seltsame Vorstellung im Kopf, dass im Westen der 'Status' enorm wichtig sei. ... Und dieses Statusgehabe kopierten die neureichen Bürger und die Herrschaften des oberen Teils der Mittelschicht, wo immer sie konnten. Doch heute stürzen sie kopfüber ab. Und genau diese Leute, die gestern noch abschätzig über den 'Plebs' lästerten, der nach Sonderangeboten bei Lebensmitteln sucht, übertreffen sich heute in Scharfsinnigkeiten über die 'Putin-Eier'. Diese Pointierungen haben etwas vom sowjetischen Genre des 'Breschnew-Witzes', der auf seine Weise den klaglosen Abschied von der UdSSR vorwegnahm. Für den Kreml läutet also ein Alarmglöckchen.“