Griechenland: Belastungsprobe Mazedonien-Streit
Die mögliche Lösung des Namensstreits mit Mazedonien hält Griechenland weiter in Atem. Vergangene Woche gewann Premier Tsipras die Vertrauensfrage, am Sonntag demonstrierten Zehntausende gegen das Abkommen Athens mit dem Nachbarland. Es soll am Donnerstag vom Parlament gebilligt werden. Die griechische Presse gibt verschiedenen Lagern die Schuld an der Polarisierung.
Nea Dimokratia fischt in rechtsextremen Gewässern
Die größte Oppositionspartei, die konservative Nea Dimokratia, hält sich Medienberichten zufolge die Möglichkeit offen, einen Misstrauensantrag zu stellen, um die Abstimmung am Donnerstag zu verhindern. Die regierungsnahe Avgi kritisiert diese Haltung scharf:
„Ganz klar will Nea Dimokratia eine argumentative Auseinandersetzung rund um das Abkommen vermeiden. Sie zieht es vor, in den trüben Gewässern der Rechtsradikalen und des Neofaschismus zu fischen. ... Der naive Bürger wird fragen: Was für einen Sinn hat der Misstrauensantrag? Die Regierung hat doch vor Kurzem ein Vertrauensvotum gewonnen. Und doch hat er Sinn: Nea Dimokratia will, dass die Debatte im Parlament sich bis zum Wochenende zieht, um eine weitere Kundgebung zu organisieren, damit sich die 'Sturmabteilungen' erneut versammeln.“
Tsipras gefährdet den sozialen Frieden
Angesichts der Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Polizei und Dutzenden Verletzen in den Krankenhäusern bezeichnet die englische Version von To Vima Online Tsipras und seine Regierung als gefährliche Opportunisten:
„Tsipras hat eine scharfe Polarisierung sowohl in der griechischen Gesellschaft als auch in der Politik wiederbelebt. ... Die Demonstranten werden als Rechtsextreme bezeichnet. Das Tränengas, das Tsipras angeblich abschaffen wollte, hat man in großen Mengen benutzt ... . Leider sehen wir eine Wiederholung des Modells, das wir in den ersten Jahren der Sparmemoranden erlebten. Diesmal stärkt die Regierung den Populismus, die opportunistische Demagogie und den Zusammenbruch jeglicher moralischer und ideologischer Grenzen.“
Tsipras hat sich nicht um Konsens bemüht
Für seine Haltung wird Tsipras büßen müssen, glaubt Kolumnist Kostas Giannakidis auf Protagon:
„Was hat der Premier unternommen, um in der Namensfrage einen Konsens zu erreichen? Nichts. Er redete über Nationalisten und wertete das Gewissen und die Wut Tausender Landsleute ab. Aber er wird die Rechnung dafür in den Urnen bekommen. ... Ich habe mehrere Freunde, die für die Demonstration extra aus Thessaloniki angereist sind. Keiner von ihnen ist rechtsextrem. ... Sie sehen die Sonne von Vergina [die als Symbol sowohl in der griechischen Region Makedonien als auch im Land Mazedonien beansprucht wird] und reagieren emotional, so wie es ihnen von klein auf gesagt wurde. Dies wurde bis letztes Jahr auch als national korrekt angesehen. Und dieses Jahr sagt die Regierung plötzlich, es sei schädlich.“
Wie unkontrollierbare Dobermänner
Kolumnist Alexis Papachelas warnt in Kathimerini vor einer weiteren Spaltung der griechischen Gesellschaft:
„Syriza und [der mit ihr in der Namensfrage zerstrittene Koalitionspartner] Anel investieren in Hass und Spaltung. ... Ich sehe bereits, dass wichtige Menschen in der öffentlichen Debatte übermäßig leidenschaftlich werden und sich wie unkontrollierbare Dobermänner verhalten. ... Das Prespes-Abkommen hat das griechische Volk geteilt. Wir alle haben eine Meinung darüber, ob es für die Nation gut oder schlecht ist. Die Trolle jedoch sprechen von Faschisten und Verrätern und gießen so Öl ins Feuer. Es ist sehr wichtig, die Spaltung nicht zu groß werden zu lassen - und die Verantwortung dafür liegt hauptsächlich bei unseren Politikern.“
Der Nachbar ist der Feind
Der Standard erkennt in der aufgeheizten Stimmung in Griechenland Parallelen zu anderen Ländern - und ist deshalb umso mehr voll des Lobes für Tsipras:
„Wie in allen anderen Balkanstaaten emotionalisiert auch in Griechenland der völkische Nationalismus die Gemüter weit mehr als die Frage, ob man trotz der Sparpolitik genug Geld zum Leben hat oder wie verschmutzt die Luft ist. ... Nachbarn werden zu Feinden stilisiert, so als ob sie die eigene - offenbar instabile - Identität gefährden könnten. Ein Grund dafür ist das in Südosteuropa stark verbreitete Denken in Kollektiven statt in Individuen. Tsipras war insofern wirklich mutig, sich durch die Aussöhnung mit Skopje auch für mehr Vernunft in der Politik einzusetzen.“
Der verantwortungsbewusste Linke
Auch El País zollt dem griechischen Premier Respekt:
„Er handelte ein Rettungspaket aus, das er eigentlich selbst ablehnte, indem er es mit sozialen Maßnahmen flankierte. Auf diese Weise nahm er Einfluss auf die europäische Finanzpolitik, machte sie expansiver. Europäischen Geist bewies er auch bei zwei weiteren Themen seiner Amtszeit: Beim Abkommen mit Mazedonien ließ er sich leiten von Kompromissbereitschaft, Pazifismus und Supranationalismus - typischen Werten der EU. Und im Umgang mit der Flüchtlingswelle zeigte er Verantwortungsbewusstsein. Tsipras' Linksextremismus arrangiert sich mit der radikalen Sozialdemokratie. Und sein dreifacher Europäismus überbrückt die Kluft, die die Linke von der Linken populistischen Ursprungs trennt - im Gegensatz zur Kluft, die zwischen rechts und rechtsextrem verläuft.“
Das Gespenst der Spaltung geht wieder um
To Vima Online beobachtet mit Sorge eine zerrüttete griechische Gesellschaft:
„Die Abstimmung im Parlament hat das Problem der Legitimation der Regierung vorübergehend gelöst. … Doch das politische Problem des Landes wurde nicht bewältigt. Der extreme politische Konflikt, den wir gesehen haben, zeigt deutlich, was in den nächsten Wochen oder Monaten passieren wird, bis zu den Wahlen. … Ein Klima der Spaltung durchdringt einen wichtigen Teil der Gesellschaft. … Anstatt zu diskutieren, wie sich Land, Wirtschaft und Gesellschaft vom Albtraum der Krise erholen können, beobachten wir, wie die gleichen Spannungen zurückkehren, die auch unsere Rettung aus dem Sumpf der Wirtschaftskrise untergraben haben.“