Erdoğan nutzt Christchurch-Video im Wahlkampf
Auf Veranstaltungen vor den türkischen Kommunalwahlen hat Präsident Erdoğan das Video vom Christchurch-Attentat in Neuseeland gezeigt. Man sehe daran, dass der Hass gegen Muslime wachse, erklärte er. Auch zog er historische Bezüge zum Ersten Weltkrieg, als unter anderem australische und neuseeländische Truppen gegen das Osmanische Reich kämpften. In den Medien erntet er dafür viel Kritik.
Präsident reduziert sein Land zur Waffe
Der türkische Präsident missbraucht das Attentat für innenpolitische Zwecke, empört sich The Daily Telegraph:
„Neuseeland ist der letzte Staat, in dem man neue Kreuzritter vermuten sollte. Es ist ein Musterland postmoderner Toleranz gegenüber Unterschiedlichkeiten. Recep Tayyip Erdoğan riskiert es dagegen, die Türkei in eine fortwährende Feindschaft mit dem Rest der Welt zu stürzen, eine Feindschaft basierend auf tragischen historischen Ereignissen, die nie rückgängig gemacht werden können ... Die Türkei hat ein zu reiches und für die ganze Welt wertvolles Erbe, um sich zur Waffe eines verbitterten und aus eigener Schuld isolierten Präsidenten reduzieren zu lassen. Leider jedoch kann man in der türkischen Innenpolitik mit einem Nationalismus, der so manipuliert wird, dass er Ressentiments über rationale Interessen stellt, immer noch trumpfen.“
Alles andere als zivilisiert
Das Internetportal Artı Gerçek findet die Aktion so geschmacklos wie gefährlich:
„Neuseeland hat eine extreme Gräueltat erfahren und die neuseeländische Führung hat so zivilisiert darauf reagiert, dass man hierzulande neidisch werden könnte. Der Mörder hat das von ihm verübte Massaker gefilmt und das bestialische Video ist an die Öffentlichkeit gelangt, aber alle Experten, Psychologen und Psychiater raten davon ab, es sich anzuschauen. In der Türkei hingegen lässt der Präsident und Parteivorsitzende das anstößige Video gleich mehrfach auf Wahlkampfplätzen zeigen, wo es selbst Kinder sehen können.“
Neue Feinde gesucht
Immer wenn Erdoğan die Ideen für den Wahlkampf ausgehen, konzentriert er sich auf die Feinde von außen, analysiert Gazeta Wyborcza:
„Erdoğan hat die Staatsanwaltschaft, die Gerichte und die Medien übernommen, aber viele neue Versprechen für die Bürger hat er nicht. Seine gesamte Kampagne zielt darauf ab, die Wähler angesichts einer massiven Offensive der türkischen Feinde zu mobilisieren. Es ist kein neues Phänomen: Erdoğan hat den Kampf gegen Feinde seit dem gescheiterten Putsch im Juli 2016 intensiviert. Vorher hatte er schon die Organisation [des in den USA lebenden islamischen Priesters Fethullah Gülen] Fetö, beschuldigt, für den Putschversuch verantwortlich zu sein. … Da die Türkei seine Schuld nicht nachweisen konnte, lehnten die Amerikaner die Auslieferung ab und die Beziehungen zwischen Ankara und Washington verschlechterten sich.“