Sind die Richtigen für die EU-Topjobs nominiert?
Die Staats- und Regierungschefs haben sich auf die Besetzung der EU-Spitzenposten geeinigt. Als Kommissionschefin wurde Ursula von der Leyen nominiert. Der belgische Premier Charles Michel soll künftig dem Rat vorstehen, IWF-Chefin Christine Lagarde der EZB. Spaniens Spitzendiplomat Josep Borrell soll EU-Außenbeauftragter werden. Europas Presse bewertet das Ergebnis eines zähen Streits.
Europa bewegt sich
Für Le Temps ist die Nominierung von der Leyens und Lagardes ein Zeichen des Fortschritts:
„Von nun an werden zwei weibliche Gesichter diese wackelige aber widerstandsfähige Union symbolisieren, die immer noch ihren Weg sucht. ... Dass die zwei Frauen auf die Spitzenposten der beiden Institutionen von zentraler Bedeutung berufen wurden, beweist, dass die Nachricht der Erneuerung angekommen ist. ... Beide werden sich natürlich im Sperrfeuer der Kritik wiederfinden, insbesondere in ihren Ländern. Aber das Signal, das damit gesendet wird, ist positiv: Europa bewegt sich. Man hat sich nicht damit zufrieden gegeben, es so zu machen, wie man es immer schon gemacht hat.“
Das Ende der jovialen Ära
Erleichterung verspürt Lidové noviny:
„Dass sich der Europäische Rat trotz der Streitigkeiten einigen konnte, könnte man eine gute Nachricht für die Gemeinschaft nennen. Erstmals wurde eine Frau für das Amt nominiert. ... Mit ihr wäre die Zeit der Jovialität vorbei, die Juncker auszeichnete, der Regierungschefs abwechselnd küsste oder ihnen einen Klaps auf die Wangen gab und der andere halb im Scherz mit den Worten begrüßte: 'Grüß Dich, Diktator!' Doch die größte Aufgabe wartet noch: von der Leyen muss die selbstbewussten EU-Abgeordneten von sich überzeugen. Und sie vergessen lassen, dass sie an der Spitze der Kommission eigentlich jemanden aus ihren eigenen Reihen sehen wollten.“
Da kommt kein Jubel auf
Außer dem Spanier Josep Borrell müssen die vorgeschlagenen Kandidaten allesamt noch Format beweisen, meint El País:
„Das schwache oder unpassende Profil einiger von ihnen beunruhigt. Ursula von der Leyen war bislang eine (abgesehen von ihrer umstrittenen Dissertation) unbekannte deutsche Verteidigungsministerin; Christine Lagarde war eine beachtenswerte IWF-Direktorin, aber weiß weniger von Währungspolitik als ihre Amtskollegen bei der EZB. Der Liberale Charles Michel ist ein umtriebiger Mann, aber er muss sein Können als Spitzenpolitiker erst noch unter Beweis stellen. Und der neue Parlamentsvorsitzende, Sergei Stanischev, ist ein Unbekannter. Zusammengefasst: Wir stehen vor keiner Katastrophe. Aber es kommt auch kein Jubel auf.“
Von der Leyen schwächt die Kommission
Von der Leyen als Chefin käme einer Schwächung der EU-Kommission gleich, meint Polityka:
„Die Wahl der schwachen Politikerin von der Leyen kann man als Widerstand des Europäischen Rats gegen die EU-Kommission interpretieren, die geschwächt wird im Verhältnis zu den nationalen Regierungen der Mitgliedsstaaten. ... Hier zählen Persönlichkeiten. Der alte Hase Juncker sicherte der EU-Kommission einen sehr hohen Grad an Unabhängigkeit und die hätte ein Frans Timmermans sicherlich fortsetzen können.“
Brutaler Affront gegen das Parlament
Als ein zynisches Kräftemessen hat De Standaard den Postenpoker wahrgenommen:
„Das war wie die schlechte Imitation eines Agatha Christie-Thrillers, bei dem auf der letzten Seite eine vorher unbekannte böse Zwillingsschwester der Täter ist. ... Es ist normal, dass es mit 28 Ländern am Tisch hart zu geht. Doch wenn das politische Europa auf diese Weise die Kluft zu der halben Milliarde Bürger schließen will, dann gute Nacht. ... Beunruhigend ist nicht nur, dass die Spitzenkandidaten und damit das Europa-Parlament brutal ignoriert wurden, sondern auch die düstere Rolle der Visegrád-Länder. Diese unterstützten von der Leyen nur, um Timmermans zu torpedieren. Denn der niederländische Sozialdemokrat ist ein ausgesprochener Kritiker der schleichenden Aushöhlung der Rechte und Freiheiten in den osteuropäischen Mitgliedsstaaten.“