Impeachment-Verfahren: Eigentor für Demokraten?
Die US-Demokraten haben ein Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump eingeleitet. Der Hintergrund: Ende Juli hat Trump den ukrainischen Präsidenten Selenskyj aufgefordert, seine Behörden auf den Sohn von Präsidentschaftsbewerber Joe Biden anzusetzen, der in der Ukraine im Vorstand eines Gasversorgers sitzt. Am Mittwoch wurde das Protokoll des Telefonats veröffentlicht. Kommentatoren spekulieren, wem das Verfahren letztlich nutzt.
Vielleicht hat Trump es drauf angelegt
Trump scheint es geradezu auf ein Amtsenthebungsverfahren abgesehen zu haben, findet USA-Korrespondent Federico Rampini in La Repubblica:
„Schließlich hat der Präsident selbst zugegeben, dass er fünf Monate vor Beginn der Vorwahlen eine ausländische Macht um Hilfe gebeten hat, um den Kandidaten der Demokraten in Pole-Position zu verunglimpfen. ... Es wäre das dritte Mal in der amerikanischen Geschichte, dass dies geschehen würde. Jedoch hat noch kein Verfahren zu einer Amtsenthebung geführt, denn am Ende wurde nie die für das entscheidende Urteil notwendige Zweidrittelmehrheit im Senat erreicht. Der Verdacht ist, dass Trump darauf setzt, in den Umfragen wieder aufzuholen, indem er die Rolle des Opfers im Wahlkampf spielt.“
Beide haben Dreck am Stecken
Ein Amtsenthebungsverfahren würde Trump eher nützen als schaden, glaubt auch Lidové noviny:
„Die potenziellen Kläger sagen, der Präsident habe Druck auf die Ukraine ausgeübt, Hunter Biden, den Sohn von Obamas Vizepräsident, unter die Lupe zu nehmen. Das sei gesetzwidrig und unannehmbar. Die Trump-Leute opponieren: Die Firma von Hunter Biden in der Ukraine sei schon früher wegen des Verdachts auf Korruption untersucht worden. Damals habe Vizepräsident Biden Kiew unter Druck gesetzt, den Generalstaatsanwalt abzuberufen. Was ist schlimmer? Das ist eine Frage an die amerikanischen Wähler.“
Kein gutes Wahlkampf-Thema
Dass sich die demokratische Partei in Sachen Themensetzung für den Wahlkampf keinen Gefallen getan hat, fürchtet die taz:
„[D]ie Ukraine-Affäre interessiert in Wirklichkeit niemanden, ähnlich wie die russischen Verwicklungen, die zu den Mueller-Ermittlungen führten. ... Anders ist es bei Trumps Migrations-, Klima-, Waffen-, Militär-, Frauen- und Bildungspolitik, bei seinem Hofieren von Rechtsextremen und Rassisten, seinen diskriminierenden Tweets, seinen aberwitzigen Handelskriegen. … Die Demokrat*innen konnten nun nicht mehr anders. Aber sie brauchen eine sehr schlaue Strategie, um die politische Empörung über Trump nicht in Ausschussdebatten über die Interpretation irgendwelcher Telefonmitschnitte verpuffen zu lassen.“
Niemand steht über dem Gesetz
NRC Handelsblad hält das Impeachment-Verfahren trotz aller Risiken für die Demokraten für den richtigen Schritt:
„Die Frage ist, wie geschlossen stehen die Demokraten hinter dem Plan, den Präsidenten abzusetzen? Viele werden eine weiter fortschreitende Spaltung des Landes befürchten. Die Möglichkeit eines Rückschlags, der sich in einen Vorteil für Trump verwandelt, ist real. Genauso wie eine weiter gehende Beschädigung von Präsidentschaftskandidat Joe Biden. Aber die Einschätzung des zu erwartenden Schadens hat die Demokraten offensichtlich nicht davon abgeschreckt, nun durchzugreifen. Und das zu Recht, trotz aller möglichen Nachteile. Denn der Kern des Rechtsstaats in einer liberalen Demokratie ist: Niemand steht über dem Gesetz.“
Demokraten geben ein Lebenszeichen
Warum riskieren die Demokraten ein Scheitern auf ganzer Linie?, fragt La Vanguardia und antwortet wie folgt:
„Weil es vor den Wahlen noch schlimmer gewesen wäre, gar nichts unternommen zu haben. ... Sie hatten die Wahl zwischen Ohnmacht und Reaktion und haben den wichtigsten Stein auf dem Spielbrett bewegt. Er könnte ihnen weggenommen werden, aber es geht nicht ums Gewinnen, sondern darum, sich im Spiel zu halten. Die Demokraten mussten beweisen, dass sie noch leben, dass sie der Trump-Tsunami nicht weggespült hat und dass sie stark genug sind, um das Weiße Haus zu erobern. Sie nutzen das Impeachment-Verfahren auch, um ihre eigene Position zu stärken.“
Diesmal wird es wirklich eng
Anders als die Russland-Affäre könnte die aktuelle Ukraine-Affäre dem Präsidenten tatsächlich zum Verhängnis werden, glaubt Jennifer Rubin, konservative Bloggerin der Washington Post, in einem Gastbeitrag für The Irish Independent:
„Im Gegensatz zur Mueller-Untersuchung ist der zur Diskussion stehende Versuch einer geheimen Absprache ein einzelner Vorfall, unkompliziert und aller Wahrscheinlichkeit nach leicht zu beweisen. Neben dem Whistleblower könnte es unter früheren Beamten Zeugen geben, die keinen Grund haben, sich an Trumps falsche Behauptung zu halten, die Regierung genieße Immunität. Personen wie der frühere Direktor der nationalen Sicherheitsdienste, Daniel Coats, und seine Stellvertreterin, Sue Gordon, sowie der frühere nationale Sicherheitsberater John Bolton würden wohl ehrlich aussagen, wenn sie Vorladungen erhielten. ... Das Repräsentantenhaus muss diesbezüglich zügig und mit einem klaren Ziel vor Augen voranschreiten.“
Gerechtfertigt, aber wohl chancenlos
Die Süddeutsche Zeitung sieht einen klaren Fall von Machtmissbrauch, der das Fass eigentlich zum Überlaufen bringen müsste:
„Die Beschaffung von Wahlkampfhilfe im Ausland: Damit überschreitet dieser Präsident eine Grenze. Sollte sich auch noch erhärten, dass er diese Aufforderung mit der Freigabe von Militärhilfe an die Ukraine verband, würde sein Vergehen noch schwerer wiegen. Die Führung der Demokraten schreckte bisher vor einem Amtsenthebungsverfahren zurück, weil sie weiß, wie unmöglich es sein wird, die Betonfraktion der Republikaner von der Unrechtstat zu überzeugen. Wegen schierer ideologischer Hartleibigkeit wird das Verfahren wohl scheitern. Gleichwohl haben die USA nun ihr Wahlkampfthema.“