Gehen die Literaturnobelpreise an die Richtigen?
Peter Handke und Olga Tokarczuk erhalten am heutigen Dienstag in Stockholm den Literaturnobelpreis. Handke, dem vorgeworfen wird, von Serben begangene Kriegsverbrechen bagatellisiert zu haben, wollte sich bei der Pressekonferenz nicht dazu äußern und attackierte Journalisten, die Fragen danach stellten. Kommentatoren sind entsetzt – über den Preisträger, aber auch über das Nobel-Komitee.
Der Dichter als Rechthaber
Mit seiner Rede hat Peter Handke es versäumt, seine Kritiker zu besänftigen, kritisiert Der Standard:
„'Eine Geste der Versöhnung' hatte Handke im Vorfeld angekündigt. Damit hatte er die Idee gemeint, eine bosnische und eine serbische Mutter zu treffen, die jeweils ihr Kind im Krieg verloren hatte. Das wurde ihm laut eigenen Aussagen verwehrt. Es hätte noch viele andere potentiell versöhnliche Gesten gegeben. Handke hat sie nicht genutzt. Der Dichter als Dialogsucher, dieses Bild ist bei Handke offenbar nicht vorgesehen. Damit wird die Öffentlichkeit leben müssen. Und mit einem Nobelpreisträger, der auch bei der Krönung seines Dichterlebens ein Rechthaber sein will.“
Islamophobes Komitee
Das Nobelpreis-Komitee hat einen Grund, warum es die Proteste gegen die Auszeichnung Peter Handkes ignoriert, meint Habertürk:
„Die Antwort liegt in der Tatsache begründet, dass im Bosnien-Massaker die Muslime die Opfer waren! ... Wären in Srebrenica und anderen Orten nicht Muslime, sondern Christen ermordet worden, und wären die Mörder Muslime gewesen, dann hätte weder Handke den Mut gehabt, sich auf die Seite der Mörder zu schlagen, noch hätten die kaltschnäuzigen Mitglieder des Nobelkomitees so jemanden ausgezeichnet. ... Indem das ohnehin von Skandalen befleckte Komitee Peter Handke auswählte, ist es nun von dem Schmutz durchtränkt, den Handke ständig wiederholte.“
Tokarczuk entlarvt moderne Propaganda
Olga Tokarczuk ist der Inbegriff dessen, was jeder rechte Nationalist hasst, erklärt Dagens Nyheter:
„Sie ist Feministin, politisch grün engagiert und sie hebt Polens multiethnische und nicht zuletzt jüdische Geschichte hervor. Vertreter der PiS haben sie als 'Verräterin' gebrandmarkt. Und jetzt erhält sie den Literaturnobelpreis, drei Tage bevor die Polen zur Wahl gehen. ... Es sagt etwas über die Entwicklung in Polen aus, wenn 30 Jahre nach dem Fall des Kommunismus der Nobelpreis an eine politische Dissidentin geht. In einem Interview mit unserer Zeitung zieht sie selbst Parallelen zwischen dem Polen von damals und heute. Während des Kommunismus wussten alle, dass im Fernsehen nur Lügen zu sehen waren. Jetzt ist es schlimmer. Die Propaganda ist cleverer geworden.“
Eine Fälscherin der polnischen Geschichte
Mit Empörung reagiert das nationalistische Onlineportal wPolityce.pl auf den Preis für Tokarczuk:
„So ein Bild von Polen gefällt der Welt! So eines wird beworben und mit den höchsten Preisen ausgezeichnet. Der Nobelpreis für Olga Tokarczuk reiht sich in diesen Trend ein. Mit einem internationalen Mandat wird sie unsere Geschichte noch bequemer umschreiben und Polen als Land der Kolonialherren, Sklavenhalter und Judenmörder darstellen können. ... Linke Künstler sind heute angesagt. Die Einbettung von Kreativität und sozialer Aktivität in einen anti-konservativen, linken oder feministischen Trend weitet sich immer mehr aus. Die Kunst- und Literaturwelt hat [nach diesem Trend] die Aufgabe, Einstellungen zu formen, eine neue Welt zu zeigen, Aktionen anzuregen. Je linker die Botschaft, desto einfacher wird es, eine neue Ordnung aufzubauen.“
Verdienter Preis für einen Jahrhundert-Dichter
Trotz seiner Parteinahme für Serbien in den Jugoslawien-Kriegen hat Peter Handke den Nobelpreis verdient, urteilt Die Presse:
„Sollte ein hervorragender Dichter, der sich aus Sicht politisch Korrekter zum politisch nützlichen Idioten von politisch Bösen macht, auch im Reich der Poesie eine Persona non grata sein? Das wäre ein beschränktes Reich der Dichtung. ... Einige von Peter Handkes vielen, vielfältigen, erlesenen Werken zählen längst zur Weltliteratur, er ist darin eine ganz eigene Stimme. Sie scheint von Dauer zu sein. Natürlich war es traurig, dass sich dieser Dichter im Dickicht des Balkans verirrt hat, doch das sollte kein ausreichender Ausschlussgrund für eine Altenehrung in Stockholm sein. ... Peter Handke hat den Preis verdient, er ist zumindest ein halber Jahrhundert-Dichter.“
Mit der Wahl Handkes verrät die Jury Alfred Nobel
Als historischen Fehler bezeichnet hingegen Kolumnist Gianni Riotta in La Stampa die Entscheidung der Jury:
„Sie hat die Absichten des Gründers verraten, indem sie sich über den Skandal der militanten, propagandistischen, eitlen Unterstützung hinwegsetzte, mit der Peter Handke sich Ende des vergangenen Jahrhunderts auf die Seite des Kriegsverbrechers Slobodan Milošević stellte. ... Handke leugnete die rücksichtslose ethnische Säuberung der serbischen Milizen und trug die Kleidung der Henker. ... 1996, als Tausende von Menschen zwischen Bosnien und dem Kosovo Höllenpein erlitten, schwafelte der Schriftsteller in der Süddeutschen Zeitung etwas von einem angeblichen Komplott 'der internationalen Presse', das darauf abziele, 'ihren Lesern die Serben als schlecht und die Muslime als ewige Gute' zu verkaufen.“