Ende einer Ära im britischen Unterhaus
Der 62-jährige Labour-Abgeordnete Lindsay Hoyle ist am Montagabend zum neuen "Mister Speaker" gewählt worden. Er löst John Bercow ab, den der Guardian in einem Rückblick als einen der kontroversesten und kämpferischsten Parlamentssprecher der Geschichte bezeichnete. Kommentatoren resümieren Bercows lange Amtszeit und fragen sich, wie es ohne ihn im Unterhaus zugehen wird.
Ein Sprecher mit ungewöhnlich viel Macht
Seit vier Jahrhunderten war kein Sprecher im britischen Unterhaus so mächtig wie John Bercow, urteilt The Evening Standard:
„Das liegt zum Teil daran, dass er sich seiner Rechte sicher war, den Klang seiner eigenen Stimme liebte und keine Angst hatte, auch die letzten drei Bewohner der Downing Street zu irritieren. Diese Talente hätten allerdings kaum Einfluss auf unsere Politik gehabt, wäre da nicht der Fakt, dass während seiner langen Amtszeit niemand eine entscheidende Mehrheit besaß. ... Weil nicht klar war, ob die Regierung zu Schlüsselfragen – vom Brexit bis hin zu öffentlichen Ausgaben – über eine Mehrheit verfügt, war es wichtig, sie zu prüfen. Bercow stellte das sicher, indem er unermüdlich Änderungsanträge und Abstimmungen zuließ, die offenlegten, wo die Exekutive nicht mehr als 50 Prozent der Parlamentarier hinter sich hatte.“
John Bercow hat Johnson die Stirn geboten
Lindsay Hoyle tritt in große Fußstapfen, erklärt Der Standard:
„Denn [John Bercow] hat in seinen zehn Jahren im Amt nicht nur in Sachen Publicity neue Maßstäbe in der altehrwürdigen Kammer gesetzt. Der neue Speaker muss sich an dem Bestemm Bercows messen lassen, die Volksvertreter gegen eine zunehmend autoritäre Regierung zu Wort kommen zu lassen. Unter seiner Ägide mussten Premierminister nicht wie früher dreißig Minuten, sondern eine ganze Stunde den "honorable friends" Rede und Antwort stehen. Selbst der letzte Hinterbänkler konnte sich auf Bercows sonore Ordnungsrufe verlassen, wenn ein Minister ihm den Mund verbieten wollte. Ob Bercows Erbe mit ebensolchem Selbstbewusstsein ans Werk geht, steht in den Sternen. Wie ... Boris Johnson mit dem Parlament umspringt, jetzt, wo sein Gegenspieler Bercow weg ist, mag man sich gar nicht ausmalen.“