Polen: Abfuhr für Justizreform der PiS-Regierung
Polens Oberstes Gericht hat die neu geschaffene Disziplinarkammer für nicht rechtens erklärt, die Richter und Staatsanwälte überprüfen und gegebenenfalls entlassen soll. Ihre Mitglieder werden vom Landesjustizrat benannt, der wiederum vom Parlament gewählt wird. Damit ist er nicht unabhängig genug von der Regierung, so das Urteil. Was bewirkt der Richterspruch?
Empörende Ignoranz
Für Gazeta Wyborcza deckt das Urteil auf, wie undemokratisch das Land geworden ist:
„Die Disziplinarkammer funktionierte auch am Donnerstag nach dem Urteil des Obersten Gerichtshofs so, als wäre nichts geschehen. Auch im Landesjustizrat hat das Urteil niemanden beeindruckt. Der Vorsitzende Leszek Mazur erklärte, dass das Urteil des Obersten Gerichtshofs keine Konsequenzen für das Funktionieren des Rats und der Disziplinarkammer haben würde. Das stimmt nicht. Wenn der Landesjustizrat und die Disziplinarkammer das Urteil ignorieren, besiegeln sie die Anarchie und das juristische Chaos, in die die Regierungspartei PiS die Justiz geführt hat. ... Und wenn die Regierenden nicht aufgeben und das Gerichtsurteil nicht anerkennen, wird die Sache klar: Die PiS führt uns aus der EU.“
Bitte Ruhe bewahren!
Die Probleme der polnischen Justiz sind damit noch nicht gelöst, weitere Schritte sollten aber auch nicht zu drastisch angegangen werden, rät Rzeczpospolita:
„Das Urteil des Obersten Gerichts vom Donnerstag beendet den Fall nicht - obwohl es eine mächtige Waffe für jene Richter ist, die gegen die von den Machthabern vorgenommenen Änderungen protestieren. Im Rechtssystem bleiben immer noch die Entscheidungen jener Organe bestehen, deren Autorität in letzter Zeit drastisch hinterfragt wird. ... Hier stellen sich juristische Fragen, die nur auf dem Rechtsweg diskutiert werden sollten, wenn wir im Rahmen eines demokratischen Staats handeln wollen. Der gordische Knoten muss gelöst werden, aber nicht zerschnitten.“
Jetzt ist Chaos programmiert
Der Richterspruch wird ein juristisches und politisches Erdbeben auslösen, prognostiziert der Warschau-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, Florian Hassel:
„Juristisch, weil nun jedes Urteil von weit mehr als 550 teils unqualifizierten, aber von der PiS-Regierung ins Amt gehievten Richtern für ungültig erklärt werden kann. In Polen wird auf Jahre hinaus eben das juristische Chaos herrschen, vor dem Kritiker der 'Justizreform' seit Jahren gewarnt haben. Politisch, weil Regierung und PiS-Chef Jarosław Kaczyński nicht zum Nachgeben bereit sind. ... Die Entwicklung nach dem Urteil der polnischen Richter wird auch ein Testfall für die EU-Kommission, die zuletzt einen sachlich unangebrachten Entspannungskurs gegenüber Warschau und anderen Rechtsbrechern in der Europäischen Union pflegte.“