Der Brexit ist besiegelt
Mit dem Jahr 2019 endet vorläufig auch die Ungewissheit bei einem der wichtigsten Europa-Themen: Am Freitag stimmte das neu aufgestellte britische Unterhaus einem EU-Austritt am 31. Januar 2020 mit deutlicher Mehrheit zu. Wird nun alles leichter, da dieses Hindernis aus dem Weg geräumt ist?
Endlich nicht mehr das Gespött Europas
Mit seiner klaren Mehrheit im Unterhaus kann Boris Johnson Großbritannien in eine neue, vielversprechende Ära führen, jubelt The Sunday Times:
„Johnson ist der erste Premierminister der Konservativen seit Margaret Thatcher, der zum Regieren keine instabilen Abkommen mit kleineren Parteien benötigt. ... Unsere innenpolitischen Verhältnisse wirken plötzlich wie etwas, das man beneidet und nicht verspottet. Johnson hat einen Weg gefunden, den Populismus zu kanalisieren und einzudämmen. Er schaffte es, über regionale und soziale Grenzen hinweg unterschiedliche Gesellschaftsschichten in einer Weise für sich zu gewinnen, dass ihn politische Führer in der westlichen Welt darum beneiden müssen. ... Zum Jahresende blicken wir optimistischer in die Zukunft der britischen Politik, als wir es für möglich gehalten hätten. Das muss doch etwas Gutes sein.“
Viel Glück, Boris...
Ob es Johnson gelingt, die rosige Zukunft wahr werden zu lassen, die er den Briten versprochen hat, das bezweifelt Jyllands-Posten nachdrücklich:
„Alle wünschen, dass es Großbritannien gut geht, aber Johnson hat schon früher gezeigt, dass er Luftschlössern nicht ablehnend gegenübersteht. Er müsste eine riesige Zahl bilateraler Handelsabsprachen erreichen, zum Beispiel auch mit den USA und Japan, um die EU-Mitgliedschaft aufzuwiegen. Und es ist auch nicht zu erkennen, wo er die vielen Milliarden finden will, die für seine Investitionsprogramme notwendig sind. Aber viel Glück damit. Wenn es nicht klappt, dann sieht es wirklich düster aus.“
Ein Klotz am Bein weniger
Dass der EU-Austritt Großbritanniens dem Projekt Europa Flügel verleiht, hofft La Repubblica:
„Europa muss die Stärke haben, eine tiefgreifende Innovationspolitik zu betreiben. Es muss auf ein gemeinsames Wohlfahrtssystem zählen können, das die Schwächsten konsequent schützt und rückständigen Gebieten hilft. … In dieser Situation war das Vereinigte Königreich stets das Land, das die Integration am stärksten gebremst hat. Besteht nun, nachdem es uns verlassen hat, die Hoffnung, dass in Europa ein anderes Bewusstsein heranreift? ... Einige Signale der neuen Kommission (und der sie unterstützenden Kräfte) scheinen zwar zaghaft, aber doch ermutigend zu sein: unter anderem das Beharren auf einer neuen Umweltpolitik, die, wenn sie gut finanziert wird, eine treibende Kraft für Innovationen sein könnte.“
EU hat keinen Zeitdruck
Brüssel kann die Verhandlungen für einen neuen Handelsvertrag zwischen EU und Großbritannien ganz in Ruhe angehen, erklärt das Handelsblatt:
„Johnson sagte am Freitag im Unterhaus, er wolle 'ein ehrgeiziges Freihandelsabkommen ohne Anpassung an EU-Regeln'. Er wird wohl weder das eine noch das andere Ziel erreichen. ... Die EU sollte sich von den Briten nicht unter Zeitdruck setzen lassen. So groß die Verlockung auch ist, den Brexit schnell abzuhaken, sie sollte hart bleiben und im Zweifel auf eine Verlängerung der Gespräche dringen. Im Laufe des Jahres wird deutlich werden, dass Johnson in Handelsfragen ein Bittsteller ist - nicht nur in Brüssel, sondern auch in Washington und Peking.“