Schweiz: Ja zu mehr Diskriminierungsschutz
In der Schweiz ist es künftig strafbar, Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung zu diskriminieren. 63 Prozent der Wahlberechtigten stimmten in einem Referendum am Sonntag für eine entsprechende Erweiterung des Antidiskriminierungsgesetzes. Eine Initiative für mehr bezahlbaren Wohnraum fiel hingegen durch. Die Presse ist teils skeptisch, ob das Ergebnis der Abstimmung von Nutzen ist.
Hut ab vor unorthodoxem Pragmatismus
Die jüngste Volksabstimmung hat erneut ein Ergebnis hervorgebracht, das quer zu allen üblichen politischen Lagern steht, staunt die Tageszeitung Die Welt:
„[E]ine klare Mehrheit [sprach sich] einerseits gegen staatliche Eingriffe in den Wohnungsmarkt aus - was als 'rechts' gilt; zugleich stimmten die Eidgenossen dafür, Hass gegen Homosexuelle künftig härter zu ahnden - ein Anliegen, das als 'links' gilt. Was beide Voten verbindet, ist der freiheitlich-liberale Geist. ... Betrachtet man die Liste mit den Abstimmungen der letzten Jahre – gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen, gegen verschärfte Abschiebungen Krimineller -, ergibt sich das Bild einer unorthodox-pragmatischen Bürgerschaft, die man nur beneiden kann.“
Ideen sollten nicht bestraft werden
Der Chefredakteur von Corriere del Ticino, Fabio Pontiggia, befürchtet eine Einschränkung der Meinungsfreiheit:
„Eine Liberaldemokratie sollte Handlungen, die diskriminierend sind, verbieten und hart bestrafen, nicht aber Ideen, die illiberale Werte zum Ausdruck bringen, egal wie krass und widerwärtig sie auch sein mögen. Artikel 261a des Strafgesetzbuches (und Artikel 171c des Militärgesetzes) machen diese Unterscheidung jedoch nicht. ... Die Tatsache, dass eine Gemeinschaft das Bedürfnis verspürt, die Verfolgung von Meinungen in einem Gesetz zu kodifizieren, ist besorgniserregend: Einerseits, weil es ein Zeichen dafür ist, dass bestimmte schockierende und skurrile Ideen weit verbreitet sind; andererseits, weil man bei der Auflistung der strafrechtlich zu bestrafenden Ideen zwar weiß, wo man anfängt, nicht aber, wo man aufhört.“
Strafrecht ändert keine Haltungen
Die Frage, wie das Gesetz tatsächlich vor Diskriminierung schützen soll, lässt die Neue Zürcher Zeitung übertriebene Erwartungen erkennen:
„Viele hoffen, die neue Strafnorm werde in der Lage sein, bestehende Ressentiments gegen Schwule und Lesben weiter abzubauen. Das ist unrealistisch. Das Strafrecht ändert die Einstellung von Menschen nicht, es ist ein Zwangsmittel. Bezeichnenderweise hat sich die Haltung gegenüber Homosexuellen in der letzten Generation ganz ohne Zutun des Strafrechts geändert: Heute steht die 'Ehe für alle' vor dem politischen Durchbruch. Das am Sonntag angenommene Gesetz hat deshalb vor allem Symbolwirkung. In der Rechtspraxis wird es eine geringe Rolle spielen. Zudem bleibt unbefriedigend, dass das Strafrecht die Menschenwürde selektiv schützt.“